Herbst 2023: Sturm in Nahost, Rückenwind für die Blauen
Was gibt es Neues aus den demokratiefeindlichen Milieus? Im Radar teilen wir zentrale Ergebnisse unseres Langzeit-Monitorings und analysieren die sich abbildenden Trends. Eine dieser Entwicklungen ist, dass der neue entflammte Nahostkonflikt auch im beobachteten Spektrum zum Thema geworden ist. Damit verwoben ist das Thema Migration, das bei Rechtsaußenakteuren im Verlauf des Jahres an Bedeutung gewonnen hat, angetrieben insbesondere von der Neuen Rechten. Wie immer behandeln wir auch die neuesten Thementrends im Kommunikationsverhalten demokratiefeindlicher Akteure und zeigen, wer aus diesem Spektrum auf Telegram an Popularität gewinnt oder verliert.
Dass wir in Zeiten multipler Krisen leben, ist spätestens seit 2022 zum geflügelten Wort geworden. Im Herbst 2023 kam zur Polykrise dann noch eine weitere Schicht hinzu. Denn mit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel zeitigte er eine weitere weltpolitische Zäsur, die sich in die bestehenden Krisendynamiken verstärkend einfügt. Und wie bei internationalen Krisen üblich, gibt es auch hier eine innenpolitische Dimension. Aufgrund der deutschen Verantwortung für den einzigen jüdischen Staat sogar ganz besonders. Dabei sind zum einen Brüche im linken Spektrum zu beobachten, die sich in konträren Positionierungen zum Nahostkonflikt äußern und den Antisemitismus, der auch linkerseits existiert, wieder offenlegen.1 Zum anderen entwickelte sich ob mancher Sympathiebekundungen für islamistischen Terror eine erneuerte Debatte über das Ausmaß von Antisemitismus in der hiesigen muslimischen Bevölkerung.2 Vor dem Hintergrund eines anhaltenden Rückenwinds für die AfD, die auch mit anti-muslimischem Rassismus zu punkten versucht, wirkt dies besonders brisant
Was bisher geschah: Vom Ukraine-Krieg zum Gaza-Krieg
Als wir Anfang 2022 unser Monitoring planten, änderten sich just die politischen Vorzeichen: »Zeitenwende«. Seitdem ist der Krieg in der Ukraine ein Dauerthema, das in der Öffentlichkeit zwar Schwankungen unterliegt, aber sich gerade im demokratiefeindlichen Spektrum aufgrund (pro-)russischer Propaganda konstant auf hohem Niveau bewegt. Staatliche Versuche, diese offen feindlichen Einflüsse zu unterbinden, sind nicht auszumachen.3 Mit dem Risiko, dass nicht nur die Unterstützung für die Ukraine, sondern auch das Vertrauen in die hiesige Politik unterminiert wird. Immerhin ist das Thema mit innenpolitischen Fragen verzahnt. Zunächst ganz grundsätzlich: Sympathien für Putin gehen oft mit einer Ablehnung der freiheitlichen Grundordnung einher.4 Auch die Frage ukrainischer Flüchtlinge bietet Futter für rechtsextreme Agitation. Anders als bei der Flüchtlingsfrage von 2015ff. ist diese zwar weniger rassistisch formiert, bietet aber dennoch Potential für Empörung: Für Ukrainer*innen sei Geld da, für Deutsche aber nicht – so die Leitlinie rechter Russland-Freunde.5
Auch linke Akteure, z.B. um Sahra Wagenknecht, hauen in diese Kerbe. Dass ein Querfront-Potential gerade mit Blick auf geopolitische Fragen besteht, haben wir an anderer Stelle schon herausgearbeitet.6 Gerade die anti-imperialistische Traditionslinie der Linken neigt dazu, Allianzen mit Regimen und Bewegungen zu beschwören, die sie trotz ihrer autoritären oder regressiven Substanz in einem Weltsystemkonflikt auf der Seite der Unterdrückten wähnt. So auch beim Nahostkonflikt, wo nicht wenige Linke das Massaker vom 7. Oktober relativieren, Schuldumkehr betreiben oder Sympathien für die islamofaschistische Hamas zeigen.7 Dass hierbei Akteure postkolonialer und queerpolitischer Prägung auffällig sind,8 wirft eine für unseren Arbeitsbereich kritische Frage auf: nämlich inwiefern jene Linke, die eigentlich den Kampf gegen Hass betont, auch selbst Hetze hervorbringt. Auch die Gefahren des (digitalen) Islamismus drängen wieder auf die Tagesordnung. Als Forschungsstelle werden wir prüfen, wie wir dieser Pluralität des Hasses Rechnung tragen können. Vorerst bleibt das Monitoring aber auf rechtsextreme und verwandte Phänomene beschränkt.
Wer mit wem kommuniziert: Demokratiefeindliche Netzwerke auf Telegram
Unsere Beobachtungen zu den Trends im Herbst beginnen wir wie immer mit dem Blick darauf, wie sich das interaktive Kommunikationsverhalten der Akteure in unserem Register entwickelt hat. Dieses Register bildet die Grundlage unseres hauseigenen Monitorings, mit dem wir die Entwicklungen über längere Zeiträume hinweg untersuchen. Es umfasst mittlerweile 2.275 Kanäle auf Telegram, deren Vernetzung wir anhand des Weiterleitungsverhaltens abzubilden versuchen. In dem dafür geschaffenen Dashboard sieht man die einzelnen Akteure (farblich nach ihrer Ideologie sortiert) und ihre Interaktionen. Demnach ist das Netzwerk nach wie vor sehr dicht und gut verbunden. Allerdings werden die einzelnen ideologischen Cluster mittlerweile etwas deutlicher. So wird gleich auf den ersten Blick die Agglomeration der QAnon-Kanäle sichtbar. Auch die Querdenken- und Esoterik-Akteure sind weiter in die Peripherie des Netzwerks gerückt. Sehr zentral und in alle Richtungen gut vernetzt bleiben die Verschwörungsideolog*innen.
Aggregieren wir die Kanäle nach ihren Ideologien, lässt sich als nächstes betrachten, inwiefern die Akteursgruppen Nachrichten voneinander teilen. So erhalten wir ein gutes Bild von den spektrenübergreifenden Dynamiken. Hierzu schauen wir uns die absoluten Zahlen der geteilten Nachrichten an und dokumentieren, welche Akteure Inhalte von Kanälen mit welcher ideologischen Prägung teilen bzw. von diesen geteilt werden. Das lässt Aussagen darüber zu, wie verschiedene Milieus zusammenhängen bzw. welche Milieus eher unter sich bleiben. So werden etwa Inhalte von QAnon-Kanälen oft nur von anderen QAnon-Akteuren weitergeleitet. Zugleich sind sie für andere verschwörungsideologische Inhalte sehr empfänglich. Eindrücklich ist ferner die Homogenität des Publikums der großen Kanäle booomaktuell (Esoterik) und ddddoffiziell (pro-russische Propaganda). Deren Nachrichten werden zu rund 80 Prozent von QAnon-Akteuren weitergeleitet, was mit Blick auf deren Nachrichten kaum verwundert: Beide Kanäle verbreiteten im Untersuchungszeitraum massiv Trump- und QAnon-Propaganda. Generell gibt es aber eine durchaus gute Vernetzung unter den einzelnen ideologischen Gruppen, wie auch in unserem Dashboard ersichtlich wird.
Interaktionsspitzen: Auffälligkeiten im Weiterleitungsnetzwerk
Wie schon in den vorhergegangenen Untersuchungszeiträumen sind die zentralsten Akteure die üblichen Verdächtigen. Weit oben rangieren, wie auch schon im Quartal davor, etwa Eva Herman oder Henning Rosenbusch, aber auch Alternativmedien – allen voran Uncut-News.ch (uncut_news) und der Sender AUF1. Letzterer hatte, nach einem kurzen Popularitätseinbruch im Sommer, der auf dessen Sendepause in der Ferienzeit zurückzuführen ist, wieder den höchsten Weiterleitungsanteil in unserem Sample. Einen empfindlichen Dämpfer musste AUF1, das schon häufiger AfD-Größen eine Plattform bot, allerdings im November hinnehmen. Die Landesmedienanstalt in Baden-Württemberg folgte der Beurteilung der Kommission für Zulassung und Aufsicht und verbot es, dass der Satellitenkanal »Schwarz Rot Gold TV« (SRGT), sechs Stunden täglich AUF1-Programm über den eigenen Kanal im europäischen Satellitenfernsehen ausstrahlt.9
Anhand der Weiterleitungen bei Telegram sehen wir, dass AUF1 ein sehr heterogenes Publikum bedient. Die Inhalte werden in allen Milieus geteilt, wodurch dem Sender eine wichtige Brokerrolle auf dem Informationsmarkt zuteil wird. Das Compact-Magazin nimmt im Vergleich hierzu eine völlig andere Rolle ein: Dessen Inhalte werden recht homogen, nämlich vor allem von rechtsextremen Akteuren geteilt. Einen erneuten Rollenwechsel vollzog ferner im November der Kanal von Björn Banane. Der Ex-Ballermannsänger, der bereits auf Querdenker-Inhalte umgesattelt hatte und dessen »Impfschaden«-Song auch prominent von Compact gefeatured wurde, interviewt neuerdings andere Szenegrößen wie Boris Reitschuster, Sucharit Bhakdi und Ralf Ludwig, aber auch viele AfD-Abgeordnete. Auf Telegram wurde das mit sehr vielen Weiterleitungen im November honoriert. Auch auf YouTube erreichten diese Beiträge wesentlich mehr Klicks als seine musikalischen Versuche.
Worüber kommuniziert wird: Themen und ihre Karrieren
Kommen wir nun zu der Frage, welche Thementrends sich abzeichnen. Hier ist zu beachten, dass unsere Feststellungen, auch auf Grundlage großer Datensätze, nur bedingt repräsentativ für Entwicklungen in Bewegungen und Strömungen sind, da Telegram nicht unbedingt der Ort für ideologische Debatten ist. Den dort aktiven Akteuren geht es häufig darum, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Auf der Plattform, die nicht algorithmisch kuratiert wird, geschieht das, indem man möglichst viel in regelmäßigen Abständen postet, um in der Kontaktliste stets oben zu erscheinen. Es wird also qua Aktivität um Aufmerksamkeit konkurriert. Auch eine Art Kartellbildung durch Weiterleitungsabsprachen unter Akteuren prägt die Trends. Trotzdem ist es wichtig, kommunikative Veränderungen nachzuvollziehen, um neue Agenden im untersuchten Spektrum frühzeitig zu erkennen. Um die fast acht Millionen Nachrichten der letzten 15 Monate grundlegend zu ordnen, nutzen wir das Topic-Modelling-Verfahren der latenten Dirichlet-Verteilungen (LDA). Dieses errechnete 120 Themen, die dann mit Labels versehen wurden. Das Modell hilft zu verstehen, wie sich die thematischen Schwerpunkte der verschiedenen Milieus periodenübergreifend entwickeln.
Üblicherweise sehen wir bei der Themenentwicklung eine relative Stabilität; schlagartige Veränderungen sind selten. Im vergangenen Quartal ist das ein wenig anders: Der Nahostkonflikt sticht im Oktober als neues Thema heraus, wenngleich nach einem Monat bereits ein Abklingen zu erkennen ist. Das Gesamtinteresse wurde vor allem durch Kanäle gepusht, die pro-russischer Propaganda und dem russischen Imperialismus zuzuordnen sind. Das sollte auch nicht verwundern, da der von Russland mit angeheizte Konflikt auch der Ablenkung vom Ukraine-Krieg dienen soll.10 Entsprechend sehen wir auch einen Abwärtstrend bei der Thematisierung eben jenes Kriegs, was aber auch mit dem Ende der ukrainischen Sommeroffensive zu tun haben dürfte, die länger Aufmerksamkeit auf sich zog. Weiterhin relevant bleibt das Thema Corona, was sich auch dadurch erklärt, dass sich gerade bei Telegram viele Akteure ballen, die sich über die Pandemie politisiert haben und trotz allmählicher Öffnung für andere Fragen weiter daran abarbeiten. Das Bedürfnis nach einer Aufarbeitung des Geschehenen scheint hier maßgeblich für die Kontinuität zu sein.
Was die Kurven sagen: Auffälligkeiten in den Thementrends
Wenngleich es im russischen Interesse liegt, die allgemeine Aufmerksamkeit vom Krieg in der Ukraine abzuziehen, steht das nicht im Widerspruch dazu, diesen weiter in der eigenen Lesart zu thematisieren. So wurde das Gesamtinteresse an ihm vor allem durch pro-russische Propagandakanäle gepusht, auf die 50 Prozent der relevanten Posts entfallen. Gleichzeitig stellten derlei Kanäle auch einen hohen Anteil der Posts zum Nahostkonflikt. Das relative Interesse an diesem war daneben etwa bei der populistischen Rechten hoch, aber auch im QAnon-Milieu. Hier könnte ein Faktor gewesen sein, dass sich Donald Trump, auf den sich der Kult zentral bezieht, frühzeitig israel-kritisch äußerte.11 Generell ist jenes Milieu für ausgeprägten Antisemitismus berüchtigt, so dass es nicht verwundert, dass dort zeitgleich Verschwörungsthemen zunahmen. Dass im November das Interesse am Konflikt in allen Milieus abfiel, mag daran liegen, dass es direkt nach 10/7 ein hohes Informationsbedürfnis gab, das im weiteren Verlauf ja auch in den herkömmlichen Medien abnahm. Auffällig ist jedoch, dass gerade im Querdenken-Milieu das Interesse vergleichsweise hoch blieb.
Eine weitere Auffälligkeit ist, dass im November das Thema Wirtschaft in fast allen Akteursgruppen an Bedeutung gewinnt: womöglich eine Ouvertüre zu der später einsetzenden öffentlichen Problematisierung der Ampel-Wirtschaftspolitik. Überhaupt ziehen seit Jahresbeginn 2023 Themen der nationalen Politik stetig an, insbesondere bei Rechtsaußenakteuren. Das gilt auch für das Thema Migration, das im Jahresverlauf sukzessive mehr Raum einnahm und am stärksten in der Neuen Rechten gepusht wird. Dort erreichte das Thema im Oktober seinen Zenit, vermutlich auch unter dem Eindruck des Nahostkonflikts und der damit verbundenen Spannungen hierzulande. Zumindest geht es bei dem Thema viel um den Islam und Muslime, die mit Gewalt in Verbindung gebracht werden. Auch das anstehende Silvester, das rechterseits stark mit dieser Gruppe assoziiert wird, wirft hier seinen Schatten voraus. Ferner ist eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema Klima bei Preppern, QAnon-Kanälen und Esoteriker*innen im November festzustellen. Dies dürfte mit der einsetzenden Hochwasserlage in Deutschland zu tun haben, die in einschlägigen Kreisen Anlass für Verschwörungstheorien gab. Speziell die Prepper wenden sich neben dem Klima nun auch mehr Themen wie der Wirtschaft zu, nachdem sie 2022 stark mit dem Thema Energie befasst waren, dieses aber 2023 seine Zugkraft verlor.
Die Spitze des Eisbergs: Metrische Trends im Frühling 2023
Unser Monitoring Bericht schließt stets mit harten Zahlen über metrische Entwicklungen ab. Zunächst untersuchen wir, wie sich die Subscriber-Zahlen in den untersuchten Sub-Milieus entwickelt haben. Hierzu unterscheiden wir stets zwischen großen Kanälen, die potenziell die Limits ihrer Reichweite erreicht haben, und kleineren Kanälen (unter 20.000 Subscribern), die noch nicht so gesättigt sind und daher größere Wachstumspotenziale haben. Dabei lässt sich feststellen, dass – wie schon in den Quartalen davor – das Interesse an der Querdenken-Bewegung weiter nachlässt, während im Esoterikbereich Zuwächse zu vermelden sind. Dass die Prepper so zulegen, ist wiederum nicht sehr aussagekräftig, da es hier nur einen Kanal mit mehr als 20.000 Subscribern gibt (dieselbstversorger). Dennoch legt dies nahe, dass es weiter ein erhöhtes Interesse an Praktiken der Selbstversorgung gibt, wozu die weitverbreitete Krisenstimmung gewiss beiträgt. Auffällig ist außerdem, dass die von uns in der letzten Ausgabe eingeführten Anti-Konsens-Gruppen an Aufmerksamkeit verlieren, was sicher auch mit der volatilen Grundstruktur dieser Gruppen zusammenhängt.
Gehen wir auf die Kanal-Ebene, fällt auf, dass es unter den Top-10-Kanälen kaum noch weiteres Potenzial der Followergenerierung gibt. Nur der Propagandakanal AUF1 und der rechtspopulistische Influencer Tim Kellner können noch leicht hinzugewinnen. Ansonsten stagnieren die Top-Kanäle oder sind rückläufig, was für eine Saturierung der Inhalte spricht. Schauen wir auf Kanäle, die im vergangenen Zeitraum besonders hinzugewonnen haben, fällt der Kanal »AUFWACHKANAL ⏰ IMPFSCHÄDEN« auf, der über 12.000 Subscriber hinzugewonnen hat, was ob des generell nachlassenden Interesses an Corona- und Impfthemen durchaus überrascht. Hier wurden im vergangenen halben Jahr nun schon massive Ressourcen aufgewendet, um den Kanal zu betreiben und zu vernetzen; letzteres insbesondere mit dem Kanal von AUF1. Auch neue Themen wie der Krieg in Nahost wurden schnell aufgenommen und mit anti-israelischen und antisemitischen Verschwörungstheorien untermalt. Vom verschwörungsideologischen Kanal elefant007 wanderten wiederum auffälligviele Abonent*innen ab, vermutlich weil der Kanal kaum noch eigene Inhalte produzierte; die Nachrichten, die er weiterleitete, kamen vor allem vom zwei anderen Kanälen: dem Corona-Desinformations-Kanal walter_siegrist und berlinonlinetv, der der populistischen Rechten zuzuordnen ist.
Treibeis auf Telegram: Viral gehende Posts
Geht man noch eine Ebene tiefer in die Ergebnisse unseres Monitorings hinein, bekommt man einen Einblick, welche Nachrichten in welchen ideologischen Milieus besonders viele Nutzer*innen erreichen konnten. Weniger überraschend ist, dass sich das anhaltende Corona-Thema nahezu über das gesamte Spektrum der untersuchten ideologischen Milieus erstreckt und damit trotz sukzessive nachlassenden Interesses weiterhin eine große Reichweite erzielt wird. Verbreitet werden dabei Nachrichten über vermeintliche Impfschäden oder unwirksame Impfungen, aber auch über Repressionen gegen Corona-kritische oder -leugnende Aktivist*innen sowie deviantes medizinisches Personal. Solidarität wurde hier beispielsweise mit einem Gynäkologen aus Bayern bekundet, der seinen Patient*innen im Jahr 2020 trotz fehlender Untersuchung Atteste ausstellte, die sie von der Maskenpflicht befreiten. Diese Nachricht wurde in den Anti-Konsens-Gruppen über 200.000 Mal angezeigt.
Auffällig ist, dass auch im Anti-Konsens-Milieu der Nahostkonflikt und seine Übersprungskonflikte hierzulande über reichweitenstarke Nachrichten verhandelt werden. So wurde ein Beitrag, in dem von »Skandal« die Rede ist, von fast 150.000 Menschen gesehen. Gemeint ist die Verhaftung der antizionistischen Aktivistin Iris Hefets, eine Unterstützerin der BDS-Bewegung. Ähnliches findet sich in fast allen Milieus. In der QAnon-Szene werden etwa Nachrichten verbreitet, welche die USA und Israel für den Hamas-Terror verantwortlich machen. Ausgerechnet in pro-russischen Kanälen wird westlichen Medien Manipulation in Sachen Nahost vorgeworfen, während Neonazis eine bedrohte Meinungsfreiheit ausmachen. In Reichsbürgerkreisen wiederum werden Nachrichten verbreitet, die sich mit UN-Resolutionen beschäftigen, und in esoterischen Kanälen solche, die jede Kritik an den »zionistischen Führer[n]« Israels unter antisemitischen Generalverdacht gestellt sehen. Lediglich Kanäle von Querdenken, aus dem Bereich der Corona-Desinformation und der Prepper-Szene bleiben ihren gewohnten Themen treu und halten den Krieg weitestgehend raus.
Zitationsvorschlag: Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Herbst 2023: Sturm in Nahost, Rückenwind für die Blauen«, in: Machine Against the Rage, Nr. 5, Winter 2024, DOI: 10.58668/matr/05.1.
Verantwortlich: Holger Marcks, Christian Donner, Harald Sick, Maik Fielitz, Wyn Brodersen.
Für tiefere Einblicke in die Netzwerk- und Themenentwicklungen kann unser Prototyp von D-REX+ besucht werden, unser Datenthesaurus zu Rechtsextremismus & Co. im Netz.
- Siehe dazu einführend Tom Pflicke, »Linker Antisemitismus« (Handbuch Linke Militanz), auf: Linke Militanz, 2023, online hier.
- Siehe dazu etwa »Auswirkungen des Terrorangriffs der HAMAS gegen Israel auf die Sicherheitslage in Deutschland«, Presseinformation des Bundesamts für Verfassungsschutz, auf: Verfassungsschutz, 29. Nov. 2023, online hier; sowie Joseph Röhmel, »So gefährlich ist der antisemitische Islamismus«, auf: Bayerischer Rundfunk, 25. Nov. 2023, online hier.
- Wenngleich mit Redaktionsschluss vermeldet wurde, dass das Auswärtige Amt hier nun manipulative Netzwerke im Visier habe; siehe dazu Marcel Rosenbach & Christoph Schult, »Stimmungsmache in sozialen Medien. Baerbocks Digitaldetektive decken russische Lügenkampagne auf«, in: Spiegel, 26. Jan. 2024, online hier.
- dazu Pia Lamberty, Corinne Heuer & Josef Holnburger, Belastungsprobe für die Demokratie: Pro-russische Verschwörungserzählungen und Glaube an Desinformation in der Gesellschaft, CEMAS Research Paper, Nov. 2022, abrufbar hier.
- Auch hier versucht die russische Propaganda nachzuhelfen; siehe »A False Picture for Many Audiences. How Russian-language Pro-Kremlin Telegram Channels Spread Propaganda and Disinformation about Refugees from Ukraine«, auf: Institute for Strategic Dialogue, 26. 2022, online hier.
- Siehe BAG »Gegen Hass im Netz«, »Der (Alb-)Traum von der Querfront. Zur Idee einer Allianz der Extreme in digitalen Zeiten«, in: Machine Against the Rage, Nr. 5 (Winter 2024), online hier.
- Siehe dazu Lisa Johanne Jacobs & Rosa Sondermann, Deutschland nach dem 7. Oktober – kein Zusammenhalt gegen Antisemitismus?, IDZ-Kurzanalyse, auf: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, Dez. 2023, abrufbar hier.
- Siehe dazu grundlegend Stefan Lauer & Nicholas Potter (Hg.), Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen, Leipzig 2023; sowie Jean-Philipp Baeck & Christian Jakob, »Linker Antisemitismus: Linke ohne Leitplanken«, in: taz, 28. Okt. 2023, online hier; Michaela Dudley, »Gefährliche Gegenwartsfälschung im Hamas-Infokrieg«, auf: Belltower News, 1. Nov. 2023, online hier; »Antisemitismus und die postkoloniale Linke: Wenn immer nur Israel Schuld am Konflikt ist«, auf: SWR, 11. Dez. 2023, online hier; und Udo Wolter, »War es das? Der Postkolonialismus hat nach dem 7. Oktober versagt«, in: IZ3W, Nr. 400 (Jan./Feb. 2023), online hier. Vgl. dazu auch Dennis Meischen, »Nahostkonflikt: Warum Regenbogenfahnen auf Palästina-Demos wehen«, in: Berliner Morgenpost, 6. Nov. 2023, online hier. International ist diese Schlagseite bei der Linken noch stärker ausgeprägt als hierzulande, wie sich exemplarisch an Judith Butler, der Vordenkerin der queer theory, zeigt; sie wirbt schon lange dafür, die Hamas als Teil der globalen Linken zu sehen, und propagiert indessen, nicht nur Israel, sondern auch Deutschland aufgrund seiner israelfreundlichen Haltung zu boykottieren.
- Siehe Kai Laufen, »›Großangriff aufs Medienkartell‹ gescheitert. ›AUF1‹ darf nicht über Astra senden«, auf: Tagesschau, 14. Nov. 2023, online hier.
- dazu Christian Vooren, »Angriff auf Israel: Ganz in Putins Sinne«, in: Zeit, 10. Okt. 2023, online hier.
- Siehe z.B. Stephe Collinson, »Trump’s Turn Against Israel Offers Stark Reminder of What His Diplomacy Looks Like«, auf: CNN, 13. Okt. 2023, online hier.