Der (Alb-)Traum von der Querfront: Zur Idee einer Allianz der Extreme in digitalen Zeiten
Was sind die Perspektiven einer Allianz von linken und rechten Kräften? Diese Frage wird derzeit insbesondere im Kontext der Ukraine-Politik der Bundesregierung diskutiert, die lagerübergreifend Gegner*innen im politischen Spektrum hat. Dabei befürchten manche Kommentator*innen die Bildung einer »Querfront«, die ihre Schnittmengen in einem eigentümlichen Friedensverständnis, der Nähe zu Putins Russland und einer Gegnerschaft zum hiesigen politischen System mit seiner (militärischen) Westbindung findet. Wie sich diese Befürchtungen historisch informiert qualifizieren lassen, wie sie mit Krisen im digitalen Kontext zusammenhängen und wie sie sich in den Strategiedebatten erklärter Querfront-Akteure widerspiegeln, behandeln wir in unserem Fokus-Thema.
»Querfront« ist ein Terminus, der im politischen Diskurs mal wieder eine Renaissance erlebt. Dazu trug insbesondere der »Aufstand für Frieden« im Februar bei, zu dem neben der linken Co-Initiatorin Sahra Wagenknecht auch eine Reihe rechter Akteure aufrief (siehe Radar). In den Medien wurden daraufhin Befürchtungen laut, es könne zu einer Allianz zwischen Linksaußen und Rechtsaußen kommen – einer Querfront eben. Gleichwohl schwingt in der Debatte der Eindruck mit, dass die Konturen des Rechtsextremismus ohnehin verschwimmen. So hat sich während der Pandemie mit den Querdenker*innen eine Bewegung herausgebildet, die trotz ihres rechten Einschlags für viele nur schwer einzuordnen ist, wozu auch die Digitalisierung mit ihren neuen, dezentralen Organisations- und Verbreitungsmöglichkeiten beigetragen hat. Entsprechend ist auch der Querfront-Begriff selbst, so wie er im (digitalen) Diskurs genutzt wird, ein äußerst diffuser. Um also zu diskutieren, wie es mit der Perspektive einer Querfront aussieht, ist zunächst eine historische Aufarbeitung des Begriffs vonnöten, um seinen analytisch brauchbaren Kern zu bestimmen.
At the Crossroots: Historische Wurzeln des Querfront-Begriffs
Der Begriff der Querfront ist eng an die deutsche Geschichte geknüpft. Vornehmlich steht er nämlich für politische Strömungen, die während der Weimarer Republik nationalistische und sozialistische Ideen verbinden wollten. In diesem Kontext florierten etwa Vorstellungen eines »nationalen Sozialismus«, verstanden als (revolutionäre) Alternative sowohl zum Marxismus als auch zum Liberalismus.1 Ein verwandtes Konzept findet sich später in der »Third Position«: ein Begriff, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext des Kalten Kriegs international etwas geläufiger war. Hiermit gemeint sind insbesondere (neo-)faschistische Kräfte in etwa Italien, Frankreich, England oder den USA, die einen Weg jenseits des westlichen Kapitalismus einerseits und des östlichen Kommunismus andererseits propagierten.2 Ferner entwickelte sich der Querfront-Begriff Ende des 20. Jahrhunderts vor allem zu einer rhetorischen Kategorie, um allerlei tatsächliche und vermeintliche Verquickungen zwischen rechten und linken Akteuren zu bezeichnen. Auch aufgrund dieser konzeptionellen Verwässerung ist in der Forschung umstritten, für welche Phänomene die Querfront-Diagnose zutreffend ist.
Grundsätzlich ist der Begriff wichtig, um die Entstehung des deutschen Nationalsozialismus zu verstehen. Immerhin hat dieser eine Inspirationsquelle im Burgfrieden des Ersten Weltkriegs, einer empirischen Variante der Querfront. »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche«, lautete 1914 die zeitgeistige Formel von Kaiser Wilhelm II., der sich politische Kräfte aller Couleur anschlossen. Im Angesicht der äußeren Feinde hätten die politischen Widersprüche also hinter das nationale Interesse zurückzutreten. Womit der Hinweis gegeben ist, dass Nationalismus und Krieg wichtige Motive bzw. Kontextbedingungen für Querfrontdynamiken sein dürften. Über das »Augusterlebnis«, den sogenannten Geist von 1914, hinaus, war aber auch der erfahrene »Kriegssozialismus« von Bedeutung, wie manche Sozialdemokraten die kriegswirtschaftliche Ordnung nannten. In dieser war der freie Markt eingeschränkt und wurden die Gewerkschaften institutionell integriert. Im Austausch für diese Aufwertung der Arbeiterorganisationen wurde der Klassenkampf eingefroren, sodass eine prototypische »Volksgemeinschaft« Form annahm.3
Der hier geborene Korporatismus ist ein wesentliches Element des Querfrontdenkens jener Zeit, in der wirtschaftliche Fragen die Gesellschaft polarisierten. Er wurde nicht nur von der präfaschistischen Regierung Schleicher (1932/33), die rechte Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen mit deutschnationalen Kräften zusammenbringen wollte, als Mittel zur Bändigung sozialer Konflikte gesehen,4 sondern ist auch das sozio-ökonomische Herzstück des Faschismus generell. Gerade seine italienische Spielart wird zuweilen als implizite Querfront, als Synthese nationalistischer und sozialistischer Ansätze, interpretiert, dabei auf die Inkorporation der Gewerkschaften in eine ständische Wirtschaftsordnung verweisend.5 Und auch für den deutschen Nationalsozialismus waren korporatistische Vorstellungen zentral. Dessen Ideen eines nationalen Sozialismus gehen mitunter auf konservative Revolutionäre zurück, die sich zwar für den proletarischen Gemeinsinn des Kriegssozialismus, nicht aber für den Internationalismus und den Klassenkampf der Arbeiterbewegung erwärmen konnten. Dieser als marxistisch verstandene Anteil des Sozialismus sollte daher abgestoßen werden.
Dass man durch die Nation zu einer Art Sozialismus komme, also die kapitalistische Klassengesellschaft nicht durch Klassenkampf, sondern in einer Volksgemeinschaft auflösen müsse, ist die Quintessenz der nationalsozialistischen Idee, wie sie vom linken Strasser-Flügel der NSDAP propagiert wurde.6 Dieser rechte Anti-Kapitalismus trat im Nationalsozialismus der Hitler’schen Prägung, in dem der Antisemitismus als primärer Kitt der Volksgemeinschaft fungierte, aber in den Hintergrund.7 Ebenso wich eine andere Eigenschaft damaliger Querfrontpolitik – das Streben nach einer Allianz mit dem Osten – dem Hitlerismus: Denn trotz der Ablehnung des Marxismus in der Sowjetunion sahen klassische Querfrontler gerade bei Russland eine kompatiblere Kultur gegeben als beim liberalen Westen, insbesondere aufgrund des Einflusses der USA.8 In dieser anti-westlichen bzw. anti-amerikanischen Haltung bestand denn auch der gemeinsame Nenner mit dem Nationalbolschewismus: einer nationalistischen Strömung im Dunstkreis der kommunistischen Bewegung, die für eine Anlehnung Deutschlands an die Sowjetunion eintrat und Überlappungen mit dem Strasserismus aufweist.9
Verflüssigung eines Konzepts: Mischszenen als empfundene Querfronten
Die anti-östliche, nicht einfach anti-kommunistische, sondern auch slawen- und russenfeindliche Haltung des Hitlerismus war eine entscheidende Bruchstelle in dessen Verhältnis zum breiteren Nationalsozialismus, der noch bis 1933 genuine Querfront-Akteure einschloss. In der »Third Position« fand diese Haltung ihre Fortsetzung während des Kalten Kriegs, als (neo-)faschistische Kräfte sich als Alternative zum gleichsam verhassten Osten und Westen verstanden – was sie vom eigentlichen, pro-östlichen Querfrontdenken unterscheidet.10 Zugleich aber trat bei ihnen der Antisemitismus wieder mehr hinter korporatistische Ideen zurück, die – wie bei der frühen Querfrontideologie – sowohl anti-marxistisch als auch anti-kapitalistisch begründet wurden.11 Beide Dimensionen klassischen Querfrontdenkens (Korporatismus nach innen, anti-westliche Allianz nach außen) tauchen im Querfront-Begriff, wie er ab den 1980er Jahren als externe Diagnose vor allem verwendet wurde, dann nicht mehr auf. Hier wird er auf allerlei Erscheinungen angewendet, die mit wahrgenommenen Lagergrenzen zwischen links und rechts brechen, sei es in Form von auch nur punktuellen Kooperationen oder (vermeintlichen) diskursiven Überlappungen.
Zwar gibt es wissenschaftliche Versuche, der Ausuferung des Begriffs zu begegnen, indem man ihn auf Allianzen rund um rassistische oder antisemitische Positionen etwa zu beschränken versucht.12 Doch nicht nur ist auch dieser Ansatz entkoppelt vom klassischen Querfront-Begriff mit seinen zwei Dimensionen, auch bleibt der politische Diskurs davon unbeeindruckt. Während die Anwendung des Begriffs auf Phänomene wie des Autonomen Nationalismus noch näher an der eigentlichen Bedeutung sein mag,13 insofern hier Kernaspekte linker Ideologie auf eine nationalistische Programmatik gewendet werden, liegt etwa beim »Ökofaschismus« klar eine Entgrenzung vor. So nannten um 1980 linke Grüne die Tendenzen in der eigenen Bewegung, die sich einer Einordnung des Umweltthemas als links oder rechts verwehrten, da es für alle Menschen existentiell sei.14 Auch die Piratenpartei musste sich in den 2000er Jahren Querfront-Vorwürfe anhören, weil ihre ideologische Heterogenität, die sich um Fragen der Digitalisierung entspann, nicht als typisch links bzw. teilweise als rechtsoffen wahrgenommen wurde.15
Hiermit ist auf eine Kontextbedingung verwiesen, die den Verdacht der Querfront fördern kann. Denn offenbar gedeiht dieser Verdacht vor allem dann, wenn sich neue Themen von epochaler Tragweite auftun. Was sich mitunter dadurch erklären lässt, dass hier die Überzeugungen ambivalent und politische Fronten zunächst noch unklar sind, also erstmal ein breiter Middleground besteht. Aber auch dadurch, dass sich die Möglichkeiten der Positionierung in jenen Sachthemen tatsächlich dem ohnehin unscharfen Schema von links und rechts entziehen. Der ideologische Markenkern (etwa soziale Frage einerseits, nationale Frage andererseits) gibt nicht notwendigerweise die Position zu Umwelt oder Digitalisierung vor.16 Das gilt auch für das Thema Corona, wo das gesamte politische Spektrum zunächst verunsichert war. Die Positionen pendelten sich dann in gegenseitiger Abgrenzung ein – das dann allerdings schnell und umso verhärteter. In so einer Situation entstand denn auch die Querdenken-Bewegung, die sich selbst – der Name sagt es – explizit in der Twilight Zone der politischen Lager verortet, die sich ergibt, wenn der Middleground klar verteilt wurde.
Dennoch ist hier Vorsicht geboten beim Querfront-Begriff. Eine diffuse Verbindung oder einzelne Gemeinsamkeiten von rechten und linken Akteuren reichen für so einen Befund nicht aus, zumal es häufig »essentially contested« ist,17 ob und wie links oder rechts ein Akteur ist. Bei den Querdenker*innen handelt es sich vor allem um eine Mischszene, die sich zudem stark aus nicht typisch politisch aktiven Menschen zusammensetzt.18 Sie definiert sich stark über die Positionierung in einer Sachfrage, die ihre Anhänger*innen – ob mit rechter oder linker Identität – vor allem von Mitte-links-Parteien nicht abgedeckt sehen. Daher sind sie keine Querfront im primären Sinne, dass Kernaspekte linker Ideologie auf rechts gewendet werden. Aus selbem Grund ist auch Vorsicht geboten, mit dem Querfront-Begriff zu operieren, wo bloß eine lagerübergreifende Kooperation oder eine Parallelität von Handlungen und Positionen gegeben ist.19 Durchaus aber ließe sich von einem latenten Querfrontcharakter mit Blick darauf sprechen, dass hier ein Hang zu Verschwörungstheorien vorliegt, die die Legitimität liberaler Demokratien infrage stellen; und insofern hier eine merkliche Empfänglichkeit für russische Desinformation besteht, erinnert dies partiell an die anti-westlich bzw. anti-liberal motivierte Ostorientierung klassischer Querfrontphänomene, die auch bei der neuen »Friedensbewegung« rund um den Krieg in der Ukraine auffällig ist.
Weitere Verwässerung: Wellen digitaler Querfront-Debatten
Tatsächlich hatte der Querfront-Begriff schon eine Weile vor Corona an Aktualität gewonnen, nämlich mit der russischen Intervention in der Ukraine im Winter 2014. Unter dem Label »Friedenswinter« kam es zu Demonstrationen gegen einen möglichen militärischen Konflikt mit Russland. Die Putin’sche Sichtweise auf einen als imperialistisch empfundenen Westen wurde schon damals von den Demonstrant*innen wiedergegeben oder zumindest verteidigt.20 Außerdem entstanden Netzwerke, die zunächst während der Corona-Proteste reaktiviert wurden und nun auch in der neuen Friedensbewegung eine Rolle spielen. Es ist ein ähnliches Milieu, das die beiden Protestfelder ausmacht, wenngleich das politische Selbstverständnis der beteiligten Akteure stark variiert. Eine identitätsstiftende Grundlage findet dieses widersprüchliche Milieu insbesondere in einer geteilten Haltung gegenüber Russland, die zwischen verschleierter Rechtfertigung und offener Sympathie für Putin schwankt, »den Westen« als aggressiven, selbstsüchtigen Akteur wahrnimmt und von anti-amerikanischen Ressentiments geprägt ist.
Diese Haltungen zu internationaler Politik, die für eine Querfront-Diagnose im engeren, klassischen Sinne sprechen, spielen jedoch in den Querfront-Debatten eine untergeordnete Rolle. Hier sehen wir eine starke Verwässerung des Begriffs, zu der auch die Digitalisierung beigetragen hat. Immerhin hat diese die politischen Realitäten auch dahingehend verändert, dass sich stärker eklektisch verschiedener Weltbilder bedient wird – was auch den Rechtsextremismus generell verflüssigt hat.21 Dabei sind es heute nicht mehr nur etablierte Organisationen, die Menschen in seine Gefilde geleiten, sondern auch schneidige Milieumanager und hyperaktive Influencer. Oft ideologisch nicht so konsistent, können die daraus entstehenden Deutungs- und Diskursnetzwerke den Anschein einer Querfront (im weiteren Sinne) machen.22 Zumal die sozialen Medien auch ein Partizipationslevel in den öffentlichen Diskurs brachten, bei dem potentiell jede*r an der (Re-)Definition von Problemen und Terminologien mitwirken kann. Fachleuten stehen dabei ein Vielfaches an Laien gegenüber, strategische Propagandisten vermischen sich mit planlosen Trollen. Viele von ihnen hantieren bei diffizilen Phänomenen freimütig mit politischem Vokabular, sodass sich über Schwarmdynamiken neue, nicht selten inkonsistente Semantiken etablieren, die mitunter auch die herkömmlichen Medien beeinflussen. Diese konzeptionelle Flatterhaftigkeit zeigt sich denn auch beim Querfront-Begriff auf Twitter.
Anhand der Twitter-Daten lässt sich ablesen, dass die Konjunkturen der Debatte jeweils unterschiedliche Schwerpunkte haben: von Querfront-Vorwürfen (und ihrer Zurückweisung) bis zu Diagnosen eines gefährlichen Amalgams aus Rechtsextremen, Esoteriker*innen und Verschwörungsgläubigen. Zudem zeigt ein Blick auf die Attitüde, mit der Akteure zum Thema Querfront twittern, dass sich mehrere politische Lager an der Debatte mit verschiedenen Blickrichtungen beteiligen. In Compact-Kreisen etwa ergötzte man sich nicht nur an Links-Rechts-Bündnissen gegen die Corona-Maßnahmen wie in Prag oder Rotterdam im Jahr 2020, man propagiert dort seit einer Weile sogar aktiv die Querfront mit der Wagenknecht-Linken. Viele Linke sprachen sich daraufhin vehement gegen Kundgebungen mit rechtsextremen Akteuren aus (siehe Radar). Insgesamt wird der Begriff weit weniger von Verfechter*innen einer Querfront genutzt, sondern vor allem negativ referenziert. Gleichwohl sind hier, also vor allem im linken Lager, auch unterschiedliche Blickrichtungen festzustellen: einerseits die kritische Thematisierung dessen, dass der Begriff unscharf oder inflationär verwendet würde; andererseits die Neigung, Akteure recht locker mit dem Begriff zu markieren, sobald sie (vermeintlich) nicht entschieden genug rechte Einflüsse zurückweisen.23 Eine solche Markierung provoziert wiederum auch Reaktionen der angesprochenen Akteure, die dann wiederum die Debatte mitprägen.
Beim Blick auf die Themen, die wiederum mit dem Begriff »Querfront« verbunden sind, zeigen sich deutliche Unterschiede. Dabei wird er in verschiedensten Kontroversen und Konflikten angewandt, zum Teil scheinbar leichtfertig . Mal wird er in Verbindung gebracht mit Debatten über Antisemitismus, mal mit der Querdenken-Bewegung – und eben mit verschiedenartigen (vermeintlichen) Annäherungen von linken und rechten Kräften.24 Und insofern dieser inkonsistent angewendete Begriff zumeist als Verdikt gemeint ist, sind auch Folgedebatten vorprogrammiert. So wird etwa auf Seite der so Markierten in vorwurfsvoller Rhetorik beklagt, dass der Querfront-Vorwurf ein Mittel der Delegitimierung von Protest oder bestimmten politischen Positionen sei. Ein Cluster rund um den Account des rechtsextremen Compact-Magazins nimmt sich den Begriff allerdings affirmativ an und versucht, in ostentativer Art und Weise, den Begriff positiv zu wenden, dabei eine Vereinigung von linken und rechten Kräften propagierend. Im Groben lässt sich jedenfalls von einem recht diffusen Verständnis von Querfront als Verdikt und einem positiven, strategischen Verständnis des selbigem sprechen, wobei ersteres wenig zu tun hat mit einem historisch informierten Verständnis von Querfront. Wie das bei denen aussieht, die sich – wie klassische Querfront-Akteure – explizit positiv darauf beziehen, gilt es im Folgenden zu betrachten.
Rinks und/oder lechts: Fallbeispiele aus der Twilight Zone
Schaut man speziell auf das demokratiefeindliche Spektrum im weiteren Sinne, so lassen sich auch hier Konjunkturen des Querfront-Begriffs feststellen, wobei die Kommunikate sowohl positive als auch negative Bezugnahmen sind. Unter denen, die sich darauf positiv beziehen, gibt es wiederum nicht viele, aber doch manche, denen das Konzept der Querfront eine Idee ist, die ihre diskursive und politische Praxis anleitet. In den Vordergrund drängen sich dabei zwei Akteure, die sich betont selbst als Grenzgänger verstehen und sich nicht in politische Kategorien einordnen lassen wollen: einerseits das Compact-Magazin um Jürgen Elsässer, andererseits der Demokratische Widerstand um Anselm Lenz. Beide Protagonisten kommen ursprünglich aus linken Kontexten und predigen heute eine gemeinsame Front von links und rechts, die das politische System ins Wanken bringen soll. Dieser »Traum von der Querfront« (CompactTV) steht nicht einfach für lagerübergreifende Kooperationsbemühungen, was häufig den Querfront-Verdacht hervorruft, sondern auch für den Versuch, in sich eine ideologische Synthese von links und rechts zu leisten, wie es für klassische Querfrontphänomene charakteristisch war.
Was Elsässer betrifft, so suchte der schon seit Mitte der 2000er Jahre, als er sich aus linken Strukturen verabschiedet hatte, immer wieder politische Themen, an denen sich Lagerlinien aufbrechen und neue Allianzen nähren lassen. Fündig wurde er etwa in der Solidarität mit dem Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic, den anti-amerikanischen Verschwörungstheorien rund um 9/11 (und danach) und dem »Friedenswinter« 2014. Sein vom Verfassungsschutz beobachtetes Compact-Magazin wies er dezidiert als Querfrontformat aus.25 Auch die Forschung ordnete es wiederholt als solches ein.26 Dennoch ist das Magazin, das sich an Veranstaltungen und Kampagnen beteiligt, recht einseitig vernetzt, nämlich zuvorderst mit rechtsextremen Akteuren. Zwischenzeitlich verstand man sich gar als Hausblatt der AfD; den Kampf gegen den Islam insbesondere durch PEGIDA unterstützte man besonders gern. Dann kamen die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. In ihnen sah Elsässer »eine riesige Chance«, »endlich das Links-Rechts-Schema zu überwinden und Opposition ganz neu zu definieren«.27 Eine reale Folge davon ist das schnelle Zusammenschreiten mit dem Demokratischen Widerstand um Lenz.
Lenz wiederum wurde zum ersten Mal im Spätsommer 2020 von Elsässer bzw. Compact der Leserschaft als ein »Gesicht der Freiheitsbewegung« vorgestellt.28 Er war Mitinitiator der ersten »Hygiene- Demonstrationen« im März 2020 in Berlin, in deren Folge sein Netzwerk als der wichtigste Berliner Ableger der Querdenken-Bewegung galt. Als selbsternannter Linker, dessen Zeitschrift durchgängig vor der Entwicklung hin zu einer totalitären Gesellschaft warnte, ist er Vorzeigefigur für eine gelingende Kooperation zwischen beiden Lagern. Lenz war bis zu seiner Kündigung 2020 freier Journalist bei der Tageszeitung taz, betätigte sich außerdem als Dramaturg und Buchautor im Stile eines linken Bohème. Heute nutzt er Phrasen wie »Pharma-Mafia«, »Great Reset« und »Corona-Terrorregime«, die ihn anschlussfähig machen an verschwörungsideologische Akteure. Das wiederholte Auftreten an der Seite von Identitären, Neurechten und strammen Rechtsextremen zeigt zudem, dass er keine Berührungsängste gegenüber dem rechten Rand hat.
Geht man nach der Propaganda zentraler Querfront-Befürworter, wie sie in den oben stehenden Zitaten zum Ausdruck kommt, kann der Eindruck entstehen, dass sich hier ein fester Bund zwischen Akteuren aus unterschiedlichen politischen Lagern etabliert. Die politische Realität sieht doch aber anders aus. Zwar kommen sich einzelne Akteure auf Großdemonstrationen nahe, zu denen sie gemeinsam mobilisieren. Allerdings gibt es bis auf wechselseitige Einladungen zu Veranstaltungen und Gastbeiträgen keine wirklichen Strukturen jenseits der eigenen Publikationen, die eine politische Synthese der Partnerakteure auch tatsächlich anstimmen. So finden sich etwa in den Netzwerken der Akteure selbst kaum Stimmen, die die Diskussion von Positionen zwischen ihnen vermitteln; es fehlen die ideologischen Brückenbauer. Ausnahmen davon sind der Querdenken-Chronist Elijah Tee sowie der ehemalige Journalist Martin Lejeune, der sich ab Ende 2021 allerdings von Lenz & Co. distanzierte.29
Genauer lässt sich auf Telegram untersuchen, wie sich der Demokratische Widerstand (DW) tatsächlich verortet. Auch er nutzt, wie viele Akteure aus dem Feld, den Messengerdienst exzessiv zur politischen Mobilisierung und Propaganda. Eine besondere Nähe zeigt sich zu dem von Kayvan Soufi-Siavash (früher als Ken Jebsen bekannt) aufgebauten Netzwerk apolut. Dies überrascht nicht: Lenz und Soufi-Siavash kennen sich gut und nehmen auch regelmäßig gemeinsame Podcasts auf; 83 Mal teilte der DW-Kanal die Beiträge von apolut. Neben allerhand Berliner Querdenken-Anhänger*innen gesellen sich auch schnell rechtsextreme Gruppierungen wie die Freien Sachsen und weitere »Freie« Kräfte aus anderen Bundesländern hinzu.30 Auch zeigt sich an der politischen Färbung der Multiplikator*innen des Kanals, dass die Inhalte durchaus in rechtsextremen Kontexten wahrgenommen und geteilt werden, wenn auch Querdenken dominiert. Weniger Anklang finden die Botschaften hingegen in Kanälen, die sich primär mit Corona-Themen beschäftigen und in der Esoterik zu verorten sind.
Mit Blick auf Themen und Inhalte sehen wir einen deutlichen Unterschied, der sich in den Publikationen der beiden Akteure abbildet. Grundsätzlich ist diesen gemein, dass sie beide eine Print-Zeitschrift im Zentrum ihres politischen Aktivismus stehen haben, mit der sie politische Debatten anstimmen und alternative Sichtweisen präsentieren wollen. Lenz’ Demokratischer Widerstand behauptete megaloman von sich selbst, die größte Wochenzeitung Europas zu sein,31 während Elsässers Compact-Magazin sich als »Stimme des Widerstands« inszeniert. Dass sich eine thematische Angleichung beider Lager vollziehe, kann weitestgehend verneint werden. Vielmehr lässt sich eine inhaltliche Funktionsteilung feststellen, wobei der DW einen stärkeren Fokus auf Corona und das damit verbundene Protestgeschehen hat, während sich Compact stärker mit Russland und historischen Themen auseinandersetzt. Im Feindbild kommen beide überein: Die Diagnose einer Totalitarisierung des Staates und der Herrschaft »transatlantischer Globalisten« verdeutlicht die Einbettung von Kritik in größere Welterklärungsmuster, die ihren Nenner in der Feindschaft zum Liberalismus findet.
Querfrontmentalität im engeren Sinne: Versuch einer Entwässerung
Bei den Fallbeispielen handelt es sich nicht nur um Akteure, die sich positiv auf den Querfront-Begriff, als strategisches Konzept, beziehen. Ihre Performance wirft auch die Frage auf, ob wir es gar mit Querfrontphänomenen im analytischen Sinne – im Sinne eines historisch informierten Konzepts – zu tun haben. Dabei ist erstmal nicht überraschend, dass eine Situation multipler Krisen – und das bei voranschreitender Digitalisierung – die politische Landschaft durcheinander wirbelt. Auch der Kriegskontext könnte vermuten lassen, dass Querfronttendenzen Auftrieb bekommen, bilden sich doch im Angesicht militärischer Bedrohungen häufig neue Allianzen. Allerdings kennt man dabei das rechte Lager historisch in der Rolle, besonders eindringlich für die Einheit gegen den äußeren Feind zu trommeln – man denke an die Rede vom Landesverräter oder auch Vaterlandsverräter –, während das Konzept Friedensbewegung nun länger deutlich links konnotiert war. Im gegenwärtigen Kontext sind – das ist historisch ungewöhnlich – die Vorzeichen umgekehrt.
Heute ist es nämlich die extreme Rechte, die – von Ausnahmen wie dem Dritten Weg abgesehen – ihrem Land, das sie zumindest der Rhetorik nach im Krieg sieht, sozusagen in den Rücken fällt.32 In diesem Umstand zeigen sich ein Bruch und eine Gemeinsamkeit mit klassischen Querfrontphänomenen zugleich. Während die klassischen maßgeblich von der Idee des Burgfriedens beseelt waren, sind es hier die neuen Querfrontler, die den Burgfrieden infrage stellen und mehr Sympathien für den offiziellen Feind als die eigene Regierung aufbringen. Die Motivation hinter dieser Art »Burgkrieg« allerdings, die erinnert an klassisches Querfrontdenken. Zwar nicht im Sinne einer ideologischen Synthese, die etwa die soziale und die nationale Frage verquickt. Aber im Sinne einer Neigung, sich in einem angenommenen internationalen Systemkonflikt im antiliberalen Lager zu verorten. Der westliche Liberalismus war im klassischen Querfrontdenken so verhasst wie es den heutigen Querfrontler*innen der »transatlantische Globalismus« ist. Und damals wie heute sind Antiamerikanismus und Antiimperialismus der Kitt, mit dem sich Allianzen sowohl mit Linken im Inneren als auch international mit illiberalen Staaten denken lassen.33
Solche Eigenschaften sind gleichwohl über die Fallbeispiele hinaus verbreitet. Sie finden sich bei Rechtsextremen, Verschwörungsgläubigen, Esoteriker*innen und Querdenker*innen ebenso wie bei Linken, die unter antiimperialistischen Vorzeichen schon öfter transnationale Allianzen mit illiberalen Kräften eingegangen sind.34 Auch bei der Wagenknecht-Linken findet sich diese Einstellung, die vor einem offenen Schulterschluss mit Rechten bisher noch Halt macht. Insofern lässt sich im analytischen Sinne zwar nicht von einer Querfrontbewegung, so doch aber von einer weit verbreiteten Querfrontmentalität sprechen. Bei einem darüber hinaus gehenden Querfront-Begriff, als diffuses Synonym für Rechts-Links-Verquickungen, ist hingegen Vorsicht geboten. Immerhin hängt ein solcher Begriff davon ab, was man unter links(extrem) und rechts(extrem) versteht. Der weite Querfront-Begriff ist insofern eine implizite Spiegelung auch dieser Begriffe: er zeigt an, wo seine Verwender*innen die Grenzen ziehen. Und da im politischen Diskurs auch eine Verwässerung der Begriffe von links und rechts festzustellen ist – auch vor dem Hintergrund genannter Verflüssigung des Rechtsextremismus –, droht jenem weiten Begriff die verstärkte Entgrenzung.
Dass sich der Phänomenbereich tatsächlich verflüssigt, bedeutet, dass die abzubildende Realität komplexer geworden ist. Eine Komplexitätsreduktion auch im Konzeptionellen sollte dem nicht folgen. Es braucht, im Gegenteil, umso mehr scharfe Begriffe, mit denen sich wahrlich rechtsextreme Tendenzen von familienähnlichen Phänomenen analytisch differenzieren lassen. Zumal eine begriffliche Verwässerung die diskursive Dynamik auch zugunsten des Rechtsextremismus beeinflussen kann. Nicht nur birgt sie das Risiko seiner Relativierung, was zu einer Abstumpfung gegenüber genuin rechtsextremen Gefahren führen kann. Es kann dadurch auch eine Expansion des Rechtsextremismus herbeigeredet werden. Wenn etwa unreflektiert viel von Querfront geredet wird, insbesondere in den Medien, können sich echte Querfrontler im Aufwind wähnen und auf potentiell Interessierte attraktiver wirken. Und wo dieses Verdikt (meist gegen Linke gerichtet) damit einhergeht, dass die Beschuldigten als Gesprächspartner disqualifiziert werden, können diese erst recht in den rechtsextremen Dunstkreis geraten, wenn sie nur noch dort Dialogpartner finden. Um nur zwei Mechanismen sich selbsterfüllender Prophezeiungen zu nennen.35 Sie erinnern daran, dass eine Überstrapazierung des Konzepts »Brandmauer« auch zu deren Durchlöcherung führen kann.
Zitationsvorschlag: Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Der (Alb-)Traum von der Querfront. Zur Idee einer Allianz der Extreme in digitalen Zeiten«, in: Machine Against the Rage, Nr. 2, Frühling 2023, DOI: 10.58668/matr/02.2.
Verantwortlich: Maik Fielitz, Holger Marcks, Harald Sick, Hendrik Bitzmann.
- Siehe hierzu grundlegend Christoph H. Werth, Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945 (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996).; sowie Mark Haarfeldt, »Nationaler Sozialismus«, in: Bente Gießelmann u.a. (Hg.), Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe (Schwalbach: Wochenschau-Verlag, 2015), S. 210–215.
- Für einen generellen Überblick und faschismusanalytischen Kontext siehe Luciano Cheles, Ronnie Ferguson & Michalina Vaughan (Hg.), Neo-Fascism in Europe (London: Longman, 1992).
- Zur Bedeutung des sozialdemokratisch ermöglichten Kriegssozialismus als praktische Vorwegnahme eines nationalen Sozialismus siehe insbes. Willy Huhn, Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus (Freiburg i. Br.: Ça ira, 2003).; vgl. dazu auch Hannes Heer, Burgfrieden oder Klassenkampf. Zur Politik der sozialdemokratischen Gewerkschaften 1930–1933 (Neuwied & Berlin: Luchterhand, 1971).
- Siehe dazu generell Axel Schildt, Militärdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General von Schleicher am Ende der Weimarer Republik (Frankfurt am Main: Campus, 1981).
- Vgl. generell Richard J.B. Bosworth, The Italian Dictatorship. Problems and perspectives in the interpretation of Mussolini and Fascism (London: Arnold, 1998). Nicht nur wird das gerne daran festgemacht, dass Mussolini eine Vorgeschichte in der sozialistischen Bewegung hatte, sondern auch daran, dass die 1910 gegründete protofaschistische Associazione Nazionalista Italiana (ANI) schon früh das Konzept einer »proletarischen Nation«, getragen von einem »nationalen Syndikalismus«, stark machte – und damit Mussolinis Bewegung maßgeblich inspirierte; siehe dazu Alexander J. De Grand, The Italian Nationalist Association and the Rise of Fascism in Italy (Lincoln & London: University of Nebraska Press, 1978). Zum Nationalsyndikalismus ist jedoch anzumerken, dass hier der Syndikalismus-Begriff nicht mit dem zu verwechseln ist, was hierzulande darunter verstanden wird (eine revolutionäre, zuweilen anarchistische Gewerkschaftsbewegung), sondern schlicht ein nationalistisches Gewerkschaftertum meint. Die ANI kam von rechts und übernahm gezielt Begriffe vom politischen Gegner, die sie nationalistisch wendete.
- Siehe dazu etwa Reinhard Kühnl, »Zur Programmatik der nationalsozialistischen Linken. Das Strasser-Programm von 1925/26«, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 3, Jg. 14 (1966), S. 317–333.; sowie Peter D. Stachura, Gregor Strasser and the Rise of Nazism (London: Allen & Unwin, 1983). Der Strasser-Flügel – benannt nach den beiden Brüdern Gregor und Otto Strasser – gehörte auch zu den deutschnationalen Kräften, die die Regierung Schleicher einzubinden gedachte.
- Gleichwohl propagierte auch der Hitlerismus einen regressiven Antikapitalismus, dieser dann aber klar antisemitisch strukturiert. Im Antikapitalismus dezidierter Querfrontakteure sind entsprechende Elemente zwar auch angelegt, doch zielt dieser stärker gegen den Liberalismus an sich.
- Diese Verschiebung ist am stärksten personifiziert in Joseph Goebbels, der sich zunächst als Sozialist verstand und in Gregor Strasser seinen Mentor für seine Vorstellung von nationalem Sozialismus hatte. Er verehrte das »heilige Russland« und sah im Bolschewismus eine Übergangsform, die zu einem echten Sozialismus führe. Nachdem ihn Hitler auf seine Seite gezogen hatte, verschwanden diese Punkte aus seinem Programm.
- Siehe dazu generell Otto-Ernst Schüddekopf, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918–1933 (Frankfurt am Main: Ullstein, 1973); Louis Dupeux, »Nationalbolschewismus« in Deutschland 1919–1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik (München: Beck, 1985).; sowie Ralf Hoffrogge, »Der Sommer des Nationalbolschewismus? Die Stellung der KPD-Linken zum Ruhrkampf und ihre Kritik am ›Schlageter-Kurs‹ von 1923«, in: Sozial.Geschichte Online, Nr. 20 (2017), S. 99–146.
- Im Kontext der internationalen Systemfrage steht der Begriff des Westens hier als Synonym für eine liberal-demokratische Ordnung. Der des Ostens wiederum ist etwas komplizierter zu fassen: Für klassische Querfrontler, die den Marxismus ablehnten, war er weniger anti-kommunistisch konnotiert, als man meinen möchte; sie lehnten zwar die marxistische Ideologie ab, sahen aber Schnittmengen mit der anti-liberalen Praxis des Kommunismus, mitunter auch in der russischen Kultur an sich (vgl. dazu auch Fußnote 8). Im Hitlerismus und bei späteren Faschist*innen ist die anti-östliche Haltung hingegen sowohl anti-kommunistisch als auch (kultur-)rassistisch gemeint.
- Vgl. dazu Fußnote 9.
- Siehe Lars Rensmann, Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland (Wiesbaden: Springer VS, 2004), S. 103.
- Der Autonome Nationalismus ist eine neonazistische Subkultur, die Konzepte der linken Autonomen übernimmt und für eigene Zwecke neuprägt. In eine ähnliche Kerbe haut auch der Nationalanarchismus. Zuweilen wird auch der Anarchokapitalismus, eine ultralibertäre Strömung, mit dem Verdacht belegt, ein Querfrontphänomen zu sein.
- Siehe dazu generell Silke Mende, »Nicht rechts, nicht links, sondern vorn«. eine Geschichte der Gründungsgrünen (München: Oldenbourg, 2011).
- Siehe Kevin Culina & Jonas Fedders, Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact (Münster: Edition Assemblage, 2016), S. 17–18.
- Wobei sich argumentieren ließe, dass den beiden Großrichtungen normative Dispositionen eigen sind, die inhaltliche Tendenzen wahrscheinlich machen, etwa in der Klimafrage eine Verantwortungsabwehr rechterseits gegenüber schwächeren Menschheitsgruppen, Nationen oder auch Generationen. Siehe dazu etwa Matthias Quent, Christoph Richter & Axel Salheiser, Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende (München: Piper Paperback, 2022).
- Zum Konzept der essentially contested concepts (abstrakte Begriffe, die je nach Wertvorstellungen völlig unterschiedlich interpretiert werden) siehe grundlegend W.B. Gallie, »Essentially Contested Concepts«, in: Proceedings of the Aristotelian Society, Nr. 56 (1956), S. 167–198.
- Vgl. dazu den Fokus der letzten Ausgabe.
- Dass etwa die neonazistische Kleinpartei Der Dritte Weg für Waffenlieferungen in die Ukraine ist, macht noch keine Querfront zwischen Nazis und Grünen. Grundsätzlich ist dabei auch zu unterscheiden zwischen Kooperationen (Akteure stimmen Handlungen ab, mit mehr oder minderer organisatorischer Integration) und Analogien (Akteure arbeiten simultan an etwa einem Thema und erscheinen dadurch als zusammenhängend). Der klassische Querfront-Begriff setzt auf jeden Fall Integration voraus, entweder in Form von zielgerichteter Kooperation oder gar einer ideologischen und organisatorischen Synthese.
- Überhaupt ist die Vorstellung von einem imperialistischen Westen auch in der alten Friedensbewegung, aber auch der Linken generell weit verbreitet und damit stets eine potentielle Brücke nacht rechts.
- Siehe Maik Fielitz & Holger Marcks, »Verflüssigter Rechtsextremismus«, in: Sächsische Zeitung, 10. Nov. 2020, online hier.
- Zur Frage des Grassroots-Charakters rechter Mobilisierung und der Kanalisierung von Protestbewegungen durch die extreme Rechte siehe den Fokus der letzten Ausgabe.
- Beispielsweise wird dem Wagenknecht-Lager vorgeworfen, rechtsextreme Positionen zu dulden, was Wasser auf die Mühlen strategischer Querfront-Akteure von rechts gießen würde.
- Siehe methodischer Annex.
- Siehe Jürgen Elsässer, Ich bin Deutscher: Wie ein Linker zum Patrioten wurde (Berlin: DTW, 2022 [2. Aufl.]), S. 327–331.
- Siehe z.B. Wolfgang Storz, »… und meine Zielgruppe ist das Volk«. »Querfront« – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks, OBS-Arbeitspapier Nr. 18 (Frankfurt am Main: Otto-Brenner-Stiftung, 2015), online hier; sowie Felix Schilk, »Fallstudie Compact. Scharniermedium der extremen Rechten«, auf: Gegneranalyse, 25. Aug. 2022, online hier.
- Elsässer, Ich bin Deutscher, S. 484.
- Martin Müller-Mertens, Paul Klemm, und Jürgen Elsässer, »Gesichter der Freiheitsbewegung«, Compact-Magazin, Nr. 9 (2020): S. 16–17.
- Siehe Lars Wienand, »›Querdenken‹-Insider packt aus: ›Es geht um ganz viel Geld‹«, auf: T-Online, 7. Okt. 2021, online hier.
- Zu den Freien Assoziationen siehe den Fokus der letzten Ausgabe.
- Siehe Steffen Greiner, Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern (Stuttgart: Tropen, 2022), S. 33.
- Was hier in klassisch rechter Logik eigentlich Landesverrat wäre, rationalisiert die extreme Rechte als nationalistische Pflicht: Man sieht durch die Regierung die Interessen der Nation verraten und meint, deren Souveränität gegen die Zersetzung durch den globalistischen Liberalismus am besten an der Seite Russlands verteidigen zu können.
- Dass Russland oder auch der Iran relativ gut mit Regierungen können, die eher in einer linken Tradition zu verorten sind und die auch die Solidarität von Teilen der hiesigen Linken genießen (z.B. Kuba, Venezuela oder neuerdings auch Brasilien), liegt in dieser antiimperialistischen Schnittmenge begründet.
- Schon ab den 1950ern, angefangen mit dem Algerischen Bürgerkrieg, hatte die (entstehende) Neue Linke unter dem Mantel des Antikolonialismus den Schulterschluss mit nationalistischen Bewegungen gesucht, die nicht selten autoritäre Regime errichteten. Noch heute praktizieren Teile der Linken Solidarität mit vermeintlichen Befreiungsbewegungen, deren Ideologie wenig mit linken Kernmerkmalen zu tun hat. Tatsächlich gibt es auch hier Quasi-Querfrontvorwürfe, etwa mit Blick auf Akteure, die anderen Linken als islamistisch oder gar islamofaschistisch gelten.
- Zum soziologischen Konzept der self-fulfilling prophecy siehe grundlegend Robert K. Merton, »The Self-fulfilling Prophecy«, in: The Antioch Review, Nr. 2, Jg. 8 (1948), S. 193–210.