Friedenstreiber vs. Kriegsapostel: Emotionale Dispositionen der (digitalen) Ukraine-Debatte
Die Stimmen, die der NATO Kriegstreiberei vorwerfen und einen diplomatischeren Umgang mit Russland fordern, sind lauter geworden. Gegenstimmen wiederum kritisieren diese Inszenierung als Friedensapostel: Ein Einlenken gegenüber dem russischen Regime würde noch mehr Leid bedeuten. Beide Seiten reklamieren also für sich, dem Frieden zu dienen bzw. Schlimmeres verhindern zu wollen – und kritisieren die Gegenseite für ihre Unmoral, nicht selten mit demonstrativer Verachtung. Worin gründet diese Emotionalität, welche unterschiedlichen Grundannahmen bedingen die jeweilige Moral? Und inwiefern ist diese Lagerbildung durch Mechanismen der sozialen Medien geprägt? Diese Fragen klären wir in unserer Blitzanalyse zusammen mit der Friedensforscherin Nicole Deitelhoff.
Als Ende Februar die ARD-Show »Hart aber fair« über den Bildschirm ging, kochten die Gemüter hoch. Ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine war hier unter anderem die (Noch-)Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast, um über die Perspektiven von Krieg und Frieden zu streiten. Moderator Louis Klamroth konfrontierte sie dabei mit einem Faktencheck, der sie als Senderin von Falschinformationen dastehen ließ. In den sozialen Medien wurde er dafür umgehend gefeiert; Spott ergoss sich über die pikierte Politikerin. Wenige Tage später der Plot-Twist: Die Redaktion der Sendung erklärte, man habe Fehler bei der Darstellung der Fakten gemacht. Nun hatten Wagenknecht und ihre Sympathisant*innen Oberwasser. Zu Unrecht sei sie diskreditiert worden; die Episode sei typisch für den Umgang mit Kräften, die sich für den Frieden stark machen. Dem wiederum folgten empörte Reaktionen der Gegner*innen Wagenknechts, die das Statement der Redaktion irreführend fanden. Eine beispielhafte Erregungsschaukel also. Doch was genau war nun passiert in dieser emotionalen Debatte, reich an Verachtung und Hass?
Hickhack um die Deutungshoheit: Anatomie einer Erregungsschaukel
In der Sendung, in der gerne härter diskutiert wird, wurden zwischenzeitlich ukrainische Frauen eingespielt, die von sexualisierter Gewalt der russischen Invasoren berichteten. Wagenknecht sprach daraufhin von »Übergriffen«, die »schauerlich und grässlich« seien; aber in Kriegen gebe es nun mal »Kriegsverbrechen« – und zwar »auf beiden Seiten«. Deswegen müsse man Kriege ja beenden.1 Klamroth wurde da ungehalten; als Moderator könne er Falschaussagen nicht einfach stehen lassen. Ein weiterer Einspieler folgte. Dieser berichtete, dass die UN bisher Vergewaltigungen ausschließlich auf russischer Seite festgestellt haben.2 Wagenknecht war zunächst bloßgestellt.3 Doch nach der Sendung wurde diese Darstellung in den sozialen Medien angezweifelt.4 Und tatsächlich revidierte sich die Redaktion auch dahingehend, dass der UN doch Fälle von sexualisierter Gewalt durch ukrainische Soldaten bekannt seien,5 damit den Eindruck erweckend, man habe Wagenknecht Unrecht getan.6 Diese selbst zeigte sich demonstrativ empört.7 Nun stand der Moderator schlecht da; der Hashtag #KlamrothLügt trendete auf Twitter, unter anderem forciert vom Blogger Manaf Hassan.8
Doch ganz so einfach ist es nicht. Es seien hier Sachverhalte durcheinandergebracht worden, hieß es sodann von Seiten der Kritiker*innen Wagenknechts; sie und ihre Apologet*innen hätten dennoch Unrecht. Analog kam denn auch der Hashtag #ManafHassanLügt auf.9 Die Argumentation dabei: Die Richtigstellung der Redaktion sei missverständlich, wenn nicht gar unnötig. Denn zum einen berichte die UN von Fällen sexualisierter Gewalt und nicht von Vergewaltigungen auf ukrainischer Seite, wie im Einspieler thematisiert. Zum anderen handele es sich dabei um Einzelfälle und keine systematischen Verbrechen wie auf russischer Seite, die häufig auch mit Folterung und Ermordung einhergingen.10 Klamroths Intervention in der Sendung sei daher durchaus richtig gewesen; an der grundsätzlichen Botschaft, dass bestimmte Kriegsverbrechen ausschließlich von Russland begangen würden, ändere das nichts. Das pauschale Rekurrieren darauf, dass Verbrechen von beiden Seiten begangen würden – ungeachtet von Typus und Ausmaß –, relativiere dies und stelle eine Täter-Opfer-Umkehr dar.11
Die wechselseitige Empörung rund um die Sendung, insbesondere auf Twitter, ist nur ein kleiner Ausschnitt einer größeren Debatte. Spätestens seit in der Bevölkerung die Erzählung an Gewicht gewonnen hat, Russland verteidige legitime Sicherheitsinteressen gegen eine provokativ auftretende Ukraine im amerikanisch fabrizierten NATO-Schlepptau,12 wird sie zunehmend polarisiert geführt. In Wagenknecht und Alice Schwarzer, die mit ihrem »Manifest für Frieden« gegen Waffenlieferungen an die Ukraine agitieren,13 hat diese Erzählung prominente Stimmen erhalten. Dass die Debatte hoch emotional ist, nimmt nicht wunder. Immerhin geht es um Krieg und Frieden – und das vor dem Hintergrund eines möglichen Weltenbrands. Dort, wo sie am meisten zugespitzt wird, müssen sich Ukraine-Unterstützer*innen anhören, Kriegstreiberei und Eskalation zu betreiben, ja einen Welt- und/oder Atomkrieg zu riskieren. Nato-Kritiker*innen wiederum müssen sich – auch wegen genau solcher Anklagen – zuweilen den Vorwurf gefallen lassen, die imperialistischen und/oder genozidalen Absichten Russlands zu protegieren, zumindest aber seiner Propaganda auf den Leim zu gehen.
Empfundene Situationen: Kognitive Grundlagen der Polarität
In der Kontroverse zur Sendung zeigt sich an einigen Stellen, dass die jeweiligen Lager selektiv argumentieren, darum bemüht, vorhandene Informationen mit dem bereits bestehenden Standpunkt passend zu machen. Konkret findet man dabei im begrifflichen Fächer von »Kriegsverbrechen«, »sexualisierter Gewalt« und »Vergewaltigungen« – Begriffe, die in der Sendung durcheinander gingen – kategoriale Bezugspunkte, über die sich jede*r ins Recht gesetzt fühlen kann.14 Auch scheint hier das vorgelagerte Problem auf, dass die Lager von verschiedenen Grundannahmen ausgehen. Aus ihnen leiten sie ihre moralischen Standpunkte ab. Sie wirken daher als emotionale Dispositionen für die Verachtung, die man sich entgegenbringt. Und da die Diskussion vor allem auf der Ebene der moralischen Ableitungen geführt wird, prallen letztlich nur gegenseitige Vorwürfe aneinander. Um abschließend diskutieren zu können, wie dieser moralische Konflikt in sich und durch den digitalen Kontext strukturiert ist, haben wir daher Nicole Deitelhoff um eine Einschätzung gebeten, welche allgemeinen Situationsdefinitionen die konfligierenden Standpunkte bedingen.15
Nicole Deitelhoff ist Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien Globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt sowie Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Sie ist außerdem eine der Sprecher*innen des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Co-Sprecherin der Forschungsinitiative »ConTrust: Vertrauen im Konflikt«. (Bild: Uwe Dettmar)
Das Verdikt von Bellizismus und Eskalation – wie ist es strukturiert? Auf welchen Grundannahmen basiert der Vorwurf, der Westen bzw. die NATO würden kriegstreiberisch handeln und den Konflikt mit Putins Russland eskalieren?
Der Vorwurf der Kriegstreiberei baut – lose – auf der Annahme auf, dass jedwede militärische Unterstützung in einem gewaltsamen Konflikt diesen nicht beenden, sondern eskalieren lassen würde. Weil moderne Kriege vor allem die Zivilbevölkerung treffen und ihre Lebensgrundlagen verheeren, sind alle Handlungen abzulehnen, die sie weiter anfachen könnten, darunter insbesondere Waffenlieferungen. Nicht zuletzt geht es auch um Soldat*innen, die im Krieg ihr Leben lassen oder verstümmelt werden. Die Vertreter*innen dieser Haltung berufen sich auf ein pazifistisches Grundverständnis, das die Anwendung von Waffengewalt als Mittel der Konfliktaustragung kategorisch ablehnt. Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die NATO wird aber nicht nur als etwas wahrgenommen, was das Unglück des Krieges verlängere; zugleich wird durch sie die Ausweitung des Kriegs über die Ukraine hinaus oder gar eine Eskalation hin zum Einsatz nuklearer Waffen befürchtet. Vor diesem Hintergrund wird ein Erfolg des russischen Angriffskriegs als das kleinere Übel betrachtet. Schließlich wird auch eine Art Kriegsbegeisterung attestiert, insbesondere unter dem Eindruck, dass in der öffentlichen Debatte Stil- und Kommunikationsmittel wie Memes und Hashtags verwendet werden, die den Krieg mitunter humoristisch behandeln oder offen mobilisierend wirken (z.B. #freetheleopards). Beides führt in den Augen der Kritiker*innen dazu, dass der Krieg nicht ernstgenommen und seine wahre Natur (Zerstörung, Tod und Leid) verschleiert würden.
Das Verdikt von Komplizenschaft und Entgleisung – worauf baut es auf? Was sind die Grundannahmen des Vorwurfs, die Friedensappelle würden russische Verbrechen hinnehmen und zu weiteren Kriegsakten ermuntern?
Dieser Vorwurf richtet sich nicht pauschal gegen diejenigen, die für Frieden demonstrieren und mehr Diplomatie fordern. Er meint vielmehr jene, die in diesem Kontext ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine verlangen, mitunter auch die Erfüllung russischer Forderungen. Angenommen wird dabei, dass beides zu noch größerem Leid unter der Zivilbevölkerung führen, aber auch die Sicherheit ganz Europas massiv beeinträchtigen würde. Nach aller Erfahrung mit Russland wäre die Wirkung eben keine deeskalierende, sondern es würde den Angreifer zur konsequenten Fortsetzung des Kriegs ermuntert – bis hin zur vollständigen Niederlage der Ukraine. Angesichts der gut dokumentierten russischen Kriegsverbrechen in den besetzten Gebieten, aber auch des kommunizierten Ziels Putins, die Ukraine zu unterwerfen, würden damit weiterer Terror und Willkürherrschaft wahrscheinlich. Eine militärische Stärkung der Ukraine soll insofern größeres Leid verhindern, aber auch die Bedingungen dafür schaffen, dass Russland überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist. Ansonsten würde Putin signalisiert, dass er mit seiner Aggression durchkommt; und es stünde zu befürchten, dass er weitere Konflikte beginnt, etwa in Moldau, Georgien, im Baltikum, ja mit NATO-Staaten überhaupt. Ferner sieht man bei den Kritiker*innen auch eine mangelnde Glaubwürdigkeit in dieser Frage, da Leitfiguren wie Wagenknecht eine Agenda zu verfolgen scheinen, die eher dem Aufbau einer neuen politischen Bewegung dienen soll und weniger dem Frieden verpflichtet ist.
Die Angst vor einer internationalen Eskalation – wieso ist sie lagerübergreifend? Was sind die Grundannahmen der Überzeugung auf beiden Seiten, man würde mit der eigenen Haltung einen Welt- und/oder Nuklearkrieg verhindern?
Während die Angst vor einer Ausweitung des Krieges auf beiden Seiten existiert – allerdings mit grundsätzlich anderen Einschätzungen, wie es dazu kommen könnte –, ist die Sorge um eine nukleare Eskalation im Lager der NATO-Kritiker*innen wesentlich akuter. Hier gilt allein schon die Verfügbarkeit nuklearer Sprengköpfe in Verbindung mit einem bereits vollzogenen Aggressionsschritt als Ausweis einer grundsätzlichen Bereitschaft zum Einsatz aller Mittel. Die wiederholten nuklearen Drohungen der russischen Staatsspitze verstärken diesen Eindruck noch. Auf der anderen Seite wird das Risiko hingegen für relativ gering gehalten; die Drohungen gelten hier als unglaubwürdig. Auch weil China, als einziger ernsthafter Partner Russlands, zuletzt deutlich signalisiert hat, den Einsatz von Nuklearwaffen nicht dulden zu wollen, hält man den Nutzen, den ein solcher Einsatz für Russland hätte, für gering. Entsprechend wird es als wichtiger erachtet, den nuklearen Drohungen Russlands nicht klein beizugeben – auch um zu verhindern, dass solche Drohungen normalisiert werden. Grundsätzlich unterscheiden sich beide Lager auch in der Frage, wie rational der Aggressor eigentlich handelt. Im Lager der NATO-Kritiker*innen wird allein schon die Entscheidung zum Krieg als irrational betrachtet; Putin sei daher auch eine nukleare Eskalation zuzutrauen. Im anderen Lager hält man Putin hingegen für einen rational kalkulierenden Akteur, der mit einer glaubhaften Abschreckung von einer solchen Eskalation abgehalten werden könnte.
Wer ist hier der Tropf? Verantwortungsethik als Frage des Blickwinkels
Die Frage nach Krieg und Frieden ist also verworren, weil sie viele Variablen enthält, die je nach Lager unterschiedlich eingeschätzt werden. Im Ergebnis ist das, was für die einen rücksichtslose Kriegstreiberei ist, für andere ein notwendiges Übel, um Frieden nachhaltig zu sichern. Beide Seiten reklamieren also für sich, verantwortlich zu handeln. So argumentiert etwa der Politikwissenschaftler Johannes Varwick explizit mit einer realpolitischen Verantwortungsethik, wenn er Verhandlungen mit Russland als bittere Pille darstellt, die man – vor dem Hintergrund einer nicht veränderbaren Handlungslogik Russlands als realen Faktor – zu schlucken habe, um weitere Zerstörung zu verhindern.16 Zugleich beansprucht aber auch das andere Lager, seine Gesinnung realpolitischen Erfordernissen zu beugen. Denn nur durch Waffenlieferungen, so die Annahme, ließen sich überhaupt Verhandlungen erzwingen.17 Auch hier sieht man die russische Handlungslogik als knallharten Faktor, der Abstriche bei den eigenen (pazifistischen) Prinzipien verlangt.
Die Weber’sche Idealtypik von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik ist zwar eine sinnvolle theoretische Orientierung,18 in der Anwendung ist aber oft nicht eindeutig, was im Einzelfall vorliegt. Es mag zwar naheliegend sein, in Waffenlieferungen an die Ukraine ein gesinnungsethisches Handeln zu sehen, doch setzt dies eben die Unterstellung voraus, dass diese Lieferungen deswegen geschehen, weil man die Ukraine aus Prinzip und um jeden Preis unterstützen wolle.19 Im Selbstverständnis jenes Lagers ist die lokale Eskalation des Kriegs allerdings ein Preis, den man zahlen muss, um eine überregionale Eskalation strategisch zu verhindern.20 Verantwortung ist insofern eine Frage der Perspektive. Sie steht und fällt damit, welche Handlungsfolgen man annimmt, insbesondere in Antizipation des russischen Verhaltens in möglichen Folgeszenarien.21 Und in einem eskalierten Konflikt wie dem Krieg in der Ukraine ist dies weitestgehend nur spekulativ zu bestimmen; die Ordnungssicherheit ist hier gänzlich aufgehoben.22 Alles steht und fällt mit den Grundannahmen über die Natur des Konflikts und die Handlungslogik Russlands.
Im digitalen Kontext liegen zwar nicht die Ursachen für die Polarität in der Ukraine-Debatte, gerade in den sozialen Medien aber wird sie besonders auf der Ebene moralischer Vorwürfe geführt. Plattformen wie Twitter sind mit ihren affektiven Dynamiken nicht prädestiniert, um am sachlichen Kern solch ohnehin emotionaler Themen zu diskutieren. Es dominieren hier, auch aufgrund der spezifischen Aufmerksamkeitsökonomie, Mechanismen einer Lagerbildung, bei der sich Freund und Feind an ihrer moralischen Position erkennen.23 Politische Diskussionsformate würden daher gut daran tun, die Diskussion umso strikter auf die Ebene der Grundannahmen zu lenken. Dies mag nicht unbedingt zu Einigkeit führen, bleibt doch etwa die Putin’sche Handlungslogik stets eine Black Box, in die Akteure ihre jeweiligen Gewissheiten hineinprojizieren können.24 Es dürfte aber das Verständnis dafür fördern, dass die jeweils präferierten Strategien weniger eine Frage der Moral sind, als dass sie auf unterschiedlichen Situationsdefinitionen gründen. Im besten Falle zeigt sich dann auch klarer, wer über die Sachkenntnis verfügt, auf der eine realistische Strategie aufbauen kann – und wer bloß seine Gesinnung als verantwortliche Strategie moralisiert.
Zitationsvorschlag: Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz« feat. Nicole Deitelhoff, »Friedenstreiber vs. Kriegsapostel. Emotionale Dispositionen der (digitalen) Ukraine-Debatte«, in: Machine Against the Rage, Nr. 2, Frühling 2023, DOI: 10.58668/matr/02.3.
Verantwortlich: Holger Marcks, Harald Sick, Hendrik Bitzmann, Maik Fielitz.
- Hart aber fair, »Frieden mit Putins Russland: Eine Illusion?«, auf: ARD Mediathek, 27. Feb. 2023, online hier, ab 59:36. Für ein Verständnis der Feinheiten der Diskussion ist es wichtig zu bemerken, dass Wagenknecht hier einen Kategorienwechsel vornimmt: Der Einspieler handelt von Vergewaltigungen, einer Unterform sexueller bzw. sexualisierter Gewalt, die wiederum eine Unterform der größeren Kategorie Kriegsverbrechen sein kann. Dieser Wechsel ermöglicht Wagenknecht, die Gleichsetzung von ukrainischer und russischer Gewalt aufrechtzuerhalten, ohne direkt die (Einseitigkeit) der russischen Vergewaltigungen infragezustellen.
- Hart aber fair, »Frieden«, ab 1:00:32.
- So der Tenor in einigen Kommentaren; siehe z.B. Christian Geyer, »Sahra Wagenknecht wird bei Hart aber fair gnadenlos dekonstruiert«, auf: FAZ.NET, 28. Feb 2023, online hier.
- Siehe etwa Florian Warweg, »Faktencheck der Faktenchecker: UN-Berichte widerlegen Darlegung von ›Hart aber fair‹-Moderator Klamroth gegenüber Sahra Wagenknecht«, auf: NachDenkSeiten, 2. März 2023, online hier.
- Hart aber fair, »Der Faktencheck zur Sendung am 27.02.2023«, auf: WDR, online hier; siehe dazu auch Tobias Mayer, »Nach ›Hart aber fair‹ mit Wagenknecht: WDR korrigiert Aussage zu Vergewaltigungen im Ukrainekrieg mit neuem Faktencheck«, in: Tagesspiegel, 2. März 2023, online hier.
- Siehe Carola Siedentop, »Faktencheck zu Ukraine-Krieg: „Hart aber fair‹ relativiert Kritik an Wagenknechts Aussage zu Vergewaltigungen«, auf: RP ONLINE, 3. März 2023, online hier.
- @SWagenknecht | 2. März 2023 | 11:28.
- @manaf12hassan | 1. März 2023 | 21:58. Siehe dazu auch Sophie Barkey, »Nach Debatte mit Wagenknecht: Lügen-Vorwurf gegen Louis Klamroth – WDR reagiert«, in: Berliner Zeitung, 2. März 2023, online hier.
- Siehe bspw. @Volksverpetzer | 2. März 2023 | 10:49.
- Für eine gute Zusammenfassung der Konfliktstruktur siehe Stefan Niggemeier, »Sahra Wagenknecht, Louis Klamroth und der Fluch des ›Faktenchecks‹«, auf: Übermedien, 3. März 2023, online hier.
- Siehe z.B. Tobias Wolf, »Auftritt bei ›Hart aber fair‹: Wagenknecht betreibt ihre traditionelle Täter-Opfer-Umkehr«, in: Freie Presse, 28. Feb. 2023, online hier. Hier ist zu bemerken, dass die Aussage Wagenknechts so richtig wie pauschal ist, vergleichbar mit der Aussage, dass es in allen Ländern Regen gibt. Denn natürlich gibt es deutliche Unterschiede in Quantität und Qualität nicht nur zwischen Kriegen, sondern auch Kriegsparteien, wobei (politische) Kultur einen Unterschied macht im Umgang mit eigenen Soldaten, feindlichen Soldaten und der Zivilbevölkerung. Außerdem gehört zur Natur des Krieges, die Wagenknecht anspricht, auch, dass sich Verteidiger und Invasoren in aller Regel ganz anders der Zivilbevölkerung gegenüber verhalten, ebenso wie es bei quasi allen Besatzungen Menschenrechtsverletzungen gibt.
- Vgl. dazu Pia Lamberty & Lea Frühwirth, »Ein Jahr russischer Angriffskrieg: Die Rolle von Desinformation in Deutschland«, CeMAS, Februar 2023, online hier.
- Alice Schwarzer & Sahra Wagenknecht, »Manifest für Frieden«, Petition auf: change.org, online hier.
- Siehe dazu auch Fußnote 1.
- Zur Bedeutung von Situationsdefinitionen für die Ableitung weitergehender Standpunkte und auch Handlungen siehe grundlegend William Isaac Thomas & Dorothy Swaine Thomas, The Child in America. Behavior Problems and Programs (New York: Knopf, 1928), S. 571–572.
- Siehe z.B. Johannes Varwick, »Warum Realpolitik im Ukraine-Krieg mich ins Abseits manövriert hat«, in: Berliner Zeitung, 13. Jan. 2023, online hier.
- Besonders deutlich brachte Kevin Kühnert (SPD) diese Position bei Markus Lanz auf den Punkt: Es sei doch bemerkenswert, dass »Sie [Wagenknecht] überhaupt hier sitzen und überhaupt die Forderung nach Verhandlungen stellen können, weil es die Ukraine auch wegen der Waffenlieferungen noch gibt«; siehe das Video bei Felix Rappsilber, »Wagenknecht bei ›Lanz‹: Reaktionen auf Friedens-Manifest ›verrückt‹«, auf: ZDF, 22. Feb. 2023, online hier, ab 24:39.
- Siehe dazu grundlegend Max Weber, Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund – Zweiter Vortrag: Politik als Beruf (München & Leipzig: Duncker & Humblot, 1919), insbes. S. 56–59.
- Noch schärfer ist die Unterstellung in der verschwörungstheoretischen Lesart, wonach die NATO den Krieg wolle, ihn gar provoziert habe und dabei die Ukraine instrumentalisiere – eine Lesart, die auch durch das Narrativ gestützt wird, dass der Westen der Ukraine ein Waffenstillstandsabkommen mit Russland verboten habe.
- Aus dieser Perspektive ließe sich auch der Varwick’schen Haltung eine Gesinnungsethik konstatieren, insofern man sagen könnte, dass auf Seiten der NATO-Kritiker*innen die realpolitische Notwendigkeit der militärischen Unterstützung nicht eingesehen werde.
- In der Zeit des Kriegsbeginns war hier etwa die Gretchenfrage, wie sich Putin verhalten würde, wenn er die Ukraine schnell unterworfen, sich ihre materiellen und militärischen Ressource einverleibt, die eigene Armee mit Kampferfahrung gestärkt und den Nimbus der russischen Stärke weiter gefestigt hat. Hätte er etwa vor den Grenzen eines militärisch entblößten Europas Halt gemacht? Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass auch Wagenknecht kurz vor dem russischen Überfall bekräftete, dass »Diplomatie tatsächlich hoffnungslos verloren” sei, wenn er wirklich ein »durchgeknallter russischer Nationalist« wäre, »der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben«; so bei Anne Will am 20. Feb. 2022; wieder eingespielt in: Hart aber fair, »Frieden«, ab: 08:46.
- Zum Konzept der Ordnungssicherheit siehe grundlegend Heinrich Popitz, Phänomene der Macht (Tübingen: Mohr, 1992), S. 224.
- Siehe dazu etwa Petter Törnberg, »How Digital Media Drive Affective Polarization through Partisan Sorting«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences, Nr. 119, Jg. 42 (2022), e2207159119, online hier.
- Mögen die Annahmen zur Handlungsrationalität der russischen Führung auch stets Spekulation bleiben, die sich nicht empirisch beweisen lassen, insbes. mit Blick auf Folgeszenarien, lassen sie sich doch aber plausibilisieren: z.B. durch Regionalexpertise.