Video Made the Radical Star
Digitale Clips zwischen Agitation und Empörung
Außerdem im Blitzlicht:
Die Nazifizierung eines Elektro-Tunes
Die Macht der Bewegtbilder
187.570.385: So viele Aufrufe sammelte CompactTV auf der Videoplattform YouTube, bevor das dazugehörige Magazin am 16. Juli von der Innenministerin verboten wurde. Der Fall zeigt: Rechtsextreme Inhalte erreichen längst ein Massenpublikum. YouTube ist die wichtigste Plattform für bewegte Bilder im digitalen Mainstream, aber auch für das demokratiefeindliche Lager. Entsprechende Akteure nutzen sie für das Hosten von Video-Inhalten; auf die verlinken dann Telegram-Chats und -Kanäle. Die Analyse im Fokus zeigt nicht nur 470 YouTube-Accounts rechtsextremer, verschwörungsideologischer und esoterischer Akteure, die auch auf Telegram aktiv sind (mit 77.770 Videos). Sie weisen auch auf eine starke Vernetzung der Szene hin, etwa wenn sich einschlägige Youtuber gegenseitig in Sendungen einladen.
Auch im Radar dieser Ausgabe spielt Compact eine wichtige Rolle. Im Langzeitmonitoring zeigt sich die zentrale Position im demokratiefeindlichen Netzwerk. Mit seinen Themen liegt das Magazin ganz im Trend der knapp 2.000 analysierten Telegram-Kanäle: Mehr pro-russische Propaganda, weniger Corona-Aufarbeitung. Allgemein gab es im Januar einen starken Anstieg von Abos und Aufrufen. Die Bauernproteste, das Treffen von Potsdam und die Debatte um einen Rechtsruck waren die Vorboten eines polarisierten Europawahlkampfs.
Im Blitzlicht geht es um die Verbreitung des berüchtigten Sylter Party-Videos. Dort singen gutsituierte Urlauber*innen eine ausländerfeindliche Parole zu einem bekannten Eurodance-Song. Schlimm genug, dass das augenscheinlich in verschiedensten Kreisen normal geworden ist. In der Reaktion wurde das Video noch umfangreich auf TikTok und anderen sozialen Medien geteilt und skandalisiert: ein Anflug von »moralischer Panik«, der dem Phänomen noch mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Die Rundschau behandelt dieses Mal vertieft TikTok. Zwischen Jugendschutz, Angst vor Radikalisierung und chinesischer Propaganda steht die Plattform stark in der Kritik – wohl wegen ihres großen Erfolgs bei jungen Menschen. Eine neue Bewegung #reclaimtiktok versucht nun, rechten Kräften auf TikTok entgegen zu wirken. Ein Drift nach rechts ist kein Naturgesetz, wenn sich nur genügend dagegenstemmen.
Anders als gewohnt hat dieser Trendreport etwas länger auf sich warten lassen. Deshalb deckt er zwei Quartale ab und analysiert wie immer die zahlreichen Online-Aktivitäten der potentiellen Demokratiefeinde.
Jan Fuhse, Berater vom Dienst für diese Ausgabe
Jan A. Fuhse ist Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach seiner Promotion in Soziologie an der Universität Stuttgart war er als Postdoc an der Columbia University. Dort arbeitete er mit Harrison White und Charles Tilly an der Theorie sozialer Netzwerke. Von 2009 bis 2013 war er Juniorprofessor für Politische Soziologie an der Universität Bielefeld und habilitierte sich 2011. Er hatte Vertretungsprofessuren in Soziologie und Kommunikationswissenschaft in Passau, Bremen und Chemnitz inne.