Winter Is Coming
Eine Erzählung von Krise und Wut
Außerdem im Radar:
Der Ukraine-Krieg und die extreme Rechte
Wider das Bauchgefühl
Bauchgefühle sind tückisch. Gerade im Digitalen, im Überfluss der Nachrichten aus sozialen Plattformen und Messenger-Apps entsteht schnell eine Illusion von Wissen. Ein Blick in den Newsfeed, in die Kommentare und Tweets genügt scheinbar, um zu sehen, was die Menschen gerade umtreibt. Doch das digitale Stimmungsbild trügt, es ist nicht nur von Vornherein wenig repräsentativ, es wird darüber hinaus strategisch verzerrt. Unter der Oberfläche wirken interessengeleitete Akteure, Verschwörungstheoretiker*innen, Kreml-Trolle und andere Krisen-Unternehmer*innen. Sie platzieren ihre Hassbotschaften tausendfach in der Hoffnung, dass sie vom »Mainstream« aufgegriffen werden und so ihre eigentliche Bestimmung erfüllen: die öffentliche Meinung zu beeinflussen, aufzuwiegeln, zu ängstigen, zu spalten.
Dabei gehen sie nicht einmal sonderlich geschickt vor – einmal enttarnt und seziert wirken ihre Strategien oft amateurhaft und zufällig. Nur aus dem Verborgenen entfalten sie ihr Zerstörungspotential. Die digitalen Plattformen sind dafür ideale Biotope, sie bieten genügend Schatten und genügend Lärm, um darin unerkannt zu wirken.
Hier setzt dieser Report an.
Er will Licht ins Dunkel bringen, die verborgenen Strukturen von Hass im Netz mit wissenschaftlicher Methodik sichtbar machen, zur Rationalisierung der Debatte beitragen. Dafür blicken die Autoren des Reports in die weniger zugänglichen Ecken der Online-Kommunikation und vermessen die Halböffentlichkeit von Telegram-Kanälen. Auf ihrem Radar tauchen dabei einerseits neue Allianzen auf: Querdenker*innen beispielsweise, die mit Beginn des Ukraine-Krieges zunehmend Inhalte von pro-russischen Propagandist*innen weiterleiteten. Andererseits geben die Netzwerkanalysen einen Einblick in ein stabiles Ökosystem rechtsextremer und verschwörungsideologischer Gruppierungen: Hier wird fortwährender Protest organisiert, hier werden Weltuntergangsnarrative gesponnen, um sie weiter in den breiten Diskurs zu befördern.
Nach dem »Impfzwang« der »Corona-Diktatur« und der Mär vom »Great Reset« sind es hier nun Ängste vor dem Blackout und die erwartete Energiekrise, die neuen Treibstoff für die Mobilisierungsmaschine der rechten Szene liefern. Im Fokus beleuchten die Autoren des Reports, wie sich die Szene auf den »Wutwinter« vorbereitet – und welche Rolle auch professionelle Kommunikator*innen dabei spielten, »eine Erwartung an Protest zu wecken«.
In der Rundschau schließlich geben die Autoren einen Ausblick, der – zumindest partiell – optimistisch stimmt. In den vergangenen Monaten haben zivilgesellschaftliche Kampagnen gegen prominente Hassakteure zu Erfolgen geführt, beispielsweise wurden zahlreiche Social-Media-Accounts des misogynen Influencers Andrew Tate gelöscht. Beispiele wie diese belegen eindrucksvoll den Wert zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Hass im Netz.
Ihre Botschaft: Wir sind nicht hilflos.
Gerret von Nordheim, Berater vom Dienst für diese Ausgabe.
Dr. Gerret von Nordheim forscht an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind digitaler Journalismus, antagonistische Akteure in digitalen Öffentlichkeiten und computergestützte Methoden der Inhaltsanalyse. Er hat Journalistik und Sozialwissenschaften in Dortmund studiert und am Institut für Journalistik der TU Dortmund promoviert.