Glossar

A

Astroturfing: Als Astroturfing bezeichnet man Versuche, eine von ein paar Köpfen erdachte Kampagne als Projekt erscheinen zu lassen, das von vielen Schultern getragen wird. Doch so wenig ein Kunst­rasen – so die deutsche Übersetzung von astroturf – mit einem natür­lichen, tatsächlichen Rasen zu tun hat, so selten machen auch solche künstlichen Produkte von vereinzelten (Online-)Aktivist*innen eine Bewegung aus. Allerdings ist es heute mit ein wenig digitaler PR-Kenntnis recht einfach – und daher wohl auch verlockend –, sich als aufmerksamkeitswürdige Bewegung zu inszenieren.

Technische Affordanzen: Technische Affordanzen meinen den Angebotscharakter einer Technologie oder Infrastruktur. Der Begriff beschreibt intendierte Anwendungsweisen von Produkten, in die bestimmte kulturelle Werte und Vorprägungen eingeschrieben sind und sich im Design von (unter anderem) digitalen Plattformen materialisieren. Dass Twitter bspw. die Länge eines Tweets auf (einst 140, dann) 280 Zeichen festsetzt, beeinflusst den Ton und den Inhalt der Kommunikation. So beeinflussen die Normen und Vorstellungen der Entwickler*innen von Technologien die Art der öffentlichen Kommunikation.

C

Classifier: Ein Classifier oder Klassifikator beschreibt einen Algorithmus aus der Klasse des maschinellen Lernens, welcher eine Eingangsmenge von Daten in verschiedene Kategorien einteilt. Es wird unterschieden in überwachtes und unüberwachtes Lernen des Klassifikators (engl. supervised/unsupervised). Beim überwachten Lernen ist die Zielgröße der Eingangsdaten bekannt, wie bei unserem Classifier für die Protestaufrufe. Dies erfordert das Kodieren einer Datenmenge für das Training des Classifiers. Beim unüberwachten Lernen sind die Klassen zunächst unbekannt und der Algorithmus erlernt generelle Muster in den Daten. Diese können im Anschluss interpretiert werden. Mit dieser Methode wurde das Themenmodell erlernt.

E

Endogenität: Um Kommunikationsnetzwerke analysieren zu können, müssen endogene wie auch exogene Netzwerkeffekte berücksichtigt werden. Endogene Effekte modellieren Verhalten aus der Netzwerkinteraktion heraus. Ein Beispiel wäre hierfür die Reziprozität. Leitet Akteur A Nachrichten von Akteur B weiter, könnte dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass B im Gegenzug Nachrichten von A weiterleitet. Exogene Variablen leiten sich nicht (ausschließlich) aus der Netzwerkinteraktion ab, sondern kommen von außerhalb, wirken sich aber auf die Netzwerkinteraktion aus. So kann etwa die Ideologie von Akteuren einen Einfluss auf ihre Kommunikationsbeziehungen zu anderen Akteuren haben, etwa wenn sie signifikant Inhalte von Akteuren der gleichen Ideologie weiterleiten. Um die Korrelation von exogenen Faktoren und Netzwerkinteraktion schätzen zu können, müssen auch endogene Faktoren kontrolliert werden, um erstere nicht überzubewerten.

F

Freie Sachsen: Die von dem rechtsextremen Anwalt Martin Kohlmann gegründete Partei entstand im Kontext der Proteste gegen die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung. Sie bietet einen Mobilisierungsrahmen für verschiedene rechte Kräfte in Sachsen. Die Freie Sachsen rufen in hoher Frequenz zu Demonstrationen auf, wobei sie dezidiert auf eine regionale Identität rekurrieren. Aufmerksamkeit bekam die Gruppe durch Forderungen nach einem »Säxit«, aber auch durch besonders radikale Rhetorik und einen professionellen Social-Media-Auftritt. Ableger gründeten sich in anderen Bundesländern.

I

Identitäre Bewegung: Die Identitäre Bewegung ist eine sich als Jugendbewegung inszenierende Gruppe von Rechtsextremen, die sich ausgehend von Frankreich in mehreren europäischen Ländern etablierte. Sie mobilisiert gegen Islam, Migration und die liberale Demokratie insbesondere über die strategische Nutzung sozialer Medien. Sie entwickelte hierbei ein rechtsextremes Politikmodell, das Online- und Offline-Repertoires miteinander verschränkte und eher über mediales Echo an Bedeutung gewann als über eine breite Basis. Seit 2016 wird sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall beobachtet.

M

Milieumanager: In der Rechtsextremismusforschung spricht man von Bewegungsunternehmern, die in der Bewegung die Zügel zusammenhalten und übergreifend finanzielle und ideelle Ressourcen aufwenden, um Kader auszubilden und Wissen weiterzugeben. In einem stärker unstrukturierten und über digitale Auftritte zusammengehaltenen Milieu, wie wir es heute vorfinden, bilden sich aus dem Wust von Kanälen autoritative Personen heraus, die einen erheblichen Einfluss auf das Feld ausüben, indem sie andere unterstützen und/oder gemeinsam Kampagnen aufziehen. Ein Beispiel für solche Milieumanager ist der Verschwörungsideologe Oliver Janich.

Mastodon: Mastodon ist ein alternativer Kurznachrichtendienst, der dezentral auf mehreren Servern (Instanzen) organisiert ist, welche von verschiedenen Organisationen, Vereinen und Einzelpersonen verantwortet werden. Mastodon verwehrt sich kommerziellen Einflüssen und einer algorithmischen Ordnung von Inhalten

N

Neue Rechte: Die Neue Rechte ist eine Strömung des Rechtsextremismus, die über die kulturelle Ebene politischen Wandel hervorrufen will. Zu dieser metapolitischen Strategie zählt unter anderem die publizistische Tätigkeit, mit der auf den öffentlichen Diskurs und auf die konservative Rechte eingewirkt werden soll. Das Netzwerk der Neuen Rechten gilt als Stichwortgeber und Kaderschmiede für verschiedene Bewegungen und Parteien der äußersten Rechten. Zentraler Bezugspunkt ist das von Götz Kubitschek geleitete Institut für Staatspolitik sowie aus seinem Umfeld herausgegebene Blogs, Zeitschriften und Verlage.

NIMBY-Protest: Solche Proteste wehren sich gegen bestimmte Veränderungen im nahen Lebensumfeld (daher: »Not In My Backyard«), weil Protestierende selbst Nachteile empfinden. Es geht in den Protesten oft nicht um generelle politische Veränderungen, wenngleich vor Ort gefühlte Ungerechtigkeiten auch andernorts auf Interesse stoßen. Der Protest gegen Moscheen oder Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft etwa gilt in rechten Kontexten als paradigmatisch. Die Beschwörung eines Konflikts zwischen Etablierten und »Eindringlingen« adressiert auch Menschen jenseits klarer politischer Überzeugungen.

P

Pegida: Eine politische Bewegung, die seit 2014 gegen die »Islamisierung des Abendlandes« insbesondere in Dresden auf die Straße geht und in den folgenden Jahren Ableger in mehreren Städten herausbildete. Zu ihren Hochzeiten hatten PEGIDA-Demos bis zu 25.000 Teilnehmende, oftmals als »Spaziergänge« bezeichnet. PEGIDA gilt als paradigmatisch für dauerhafte Proteste und sprach viele Menschen außerhalb politischer Strukturen an. Sie steht zudem eng in Kontakt mit Akteuren wie der Identitären Bewegung oder der AfD.

Q

QAnon: Meint einen verschwörungsideologischen Kult, der sich um falsche Behauptungen dreht, die von einer anonymen Person (bekannt als »Q«) aufgestellt wurden. Ihre Erzählung besagt, dass satanische, kannibalistische Eliten einen globalen Ring für systematischen Kindesmissbrauch betreiben. Entstanden während Trumps Präsidentschaft, wird von einem tiefen Staat ausgegangen, der die Regierung kontrolliere.

Querdenken-Bewegung: Eine politische Bewegung, die sich im Kontext der Proteste gegen die Covid-19-Pandemie gegründet hat und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung mit einer radikalen Kritik an demokratischen Institutionen verbindet.

R

Retweetnetzwerke: Retweetnetzwerke stellen eine Interaktionsform auf Twitter dar. Die Twitter-Nutzer*innen bekommen eine Verbindung, wenn sie Inhalte voneinander durch Retweeten teilen. Hieraus kann man durchaus eine inhaltliche Affirmation ableiten, da sich die Gepflogenheit etabliert hat, Nachrichten aus dem gegnerischen politischen Lager lediglich mittels Screenshot zu teilen, um diesen keine größere Reichweite zu verschaffen.

S

Snowballsampling: Das Schneeball-Verfahren bezeichnet ein Stichprobenverfahren in den Sozialwissenschaften, das über interpersonale oder -gruppale Verbindungen eine Grundgesamtheit herstellt, über die sich dann allgemeinere Aussagen treffen lassen. Im digitalen Kontext handelt es sich bei den Verbindungen etwa um Nachrichtenweiterleitungen, Retweets oder Follows. Analog wird zumeist Ähnlichkeit zwischen derart verbundenen Akteuren angenommen. Dafür muss zusätzlich evaluiert werden, inwieweit die Verbindungen Ausdruck eines negativen Referenzsystems sein könnten.

T

Topic-Modelling: Themenmodelle sind statistische Modelle zur Beschreibung der latenten Themen, welche in einer Menge von Dokumenten vorkommen, wobei jedes Thema durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung von Wörtern beschrieben wird. Die zugrundeliegende Annahme ist dabei, dass sich ein Thema durch die gehäuften Verwendungen charakteristischer Wörter auszeichnet.

Telegram: Der Messenger-Dienst Telegram existiert seit 2013 und wird vom russischen Dissidenten Pavel Durov geführt. Durov hat in Russland das soziale Netzwerk VK gegründet und ging mit Telegram ins Exil, nachdem die russische Regierung den Messenger unter seine Kontrolle bringen wollte. In osteuropäischen Ländern ist der Dienst das primäre private und soziale Kommunikationsmedium. In Deutschland ist Telegram insbesondere in die Kritik geraten, weil das Unternehmen nicht (genug) gegen illegale Machenschaften auf der Plattform vorgeht. In demokratiefeindlichen Kreisen hat der Dienst Kultcharakter, insbesondere seit Beginn der Pandemie und des zunehmend restriktiven Verhaltens von Mainstream-Plattformen.

V

Viralität: In der digitalen Kommunikation bedeutet Viralität eine schnelle, unvorhersehbare Verbreitung bestimmter Inhalte durch eine algorithmisierte Herstellung von Öffentlichkeit. Virale Inhalte werden als meinungsbildend wahrgenommen und durch die stetige Reproduktion immer weiter aufgewertet.